Offene Hardware
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Während der COVID-19-Pandemie standen Krankenhäuser weltweit vor einem Problem: Es gab nicht ausreichend Beatmungsgeräte, die Hersteller kamen mit der Produktion nicht schnell genug hinterher. Was also tun? Verschiedene Initiativen entwickelten daraufhin Beatmungsgeräte und veröffentlichten die Baupläne unter einer offenen Lizenz, sodass jede:r diese nachbauen konnte. Kann Offene Hardware das Potenzial von Open-Source-Software erreichen? Und welche Rolle kann der Staat in der Frage um die „Öffnung“ bisher geschlossener Systeme spielen?
Wie kann Hardware offen sein?
Die Offenheit von IT-Systemen, gewährleistet durch Transparenz und Nachvollziehbarkeit, gilt als Schlüsselfaktor der digitalen Souveränität. Während quelloffene Software (Open-Source-Software, kurz: OSS) im öffentlichen Diskurs ein hohes Maß an Interesse und Befürwortung erfährt, führt die Übertragung des „Open“-Paradigmas auf physische Komponenten bislang noch ein Nischendasein. In den letzten Jahren gab es immer wieder Momente, in denen der Durchbruch von Open-Source-Hardware (OSH) direkt bevorzustehen schien. Doch während sich neben OSS inzwischen auch vergleichbare Konzepte wie Open Data oder Open Access in Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft weitläufig und nachhaltig etablieren konnten, blieb OSH weiter im Hintergrund.
Die weitere Verbreitung des „Open“-Paradigmas liegt an der einfachen Greifbarkeit der Konzepte: Open Data beschreibt die möglichst niedrigschwellige Bereitstellung von Daten, Open Access ermöglicht den uneingeschränkten Zugriff auf Medieninhalte und OSS ermöglicht die uneingeschränkte Verwendung, Verbreitung und Veränderung eines Programms. Bei Hardware ist der Fall etwas anders gelagert: Es reicht gerade nicht aus, ein Gerät aufzuschrauben und sich die Schaltkreise unter Tastatur, Bildschirm oder Touchscreen anzuschauen. Die Neugierigen sehen sich dabei nicht nur mit Gewährleistungsausschlüssen, mikroskopisch kleinen und verklebten Bauteilen, einzigartige Schraubenkopfprofilen oder der Überkomplexität des Systems konfrontiert. Die physische Öffnung eines Gehäuses stellt eben nur die Spitze des Eisberges dar, denn während Daten, Bücher oder Software selbst als Gesamtprodukt heruntergeladen werden können, ist das bei Hardware nicht möglich.
Begriffliche Verortung
Bei OSH heißt Transparenz konkret, Bestandteile, Aufbau und Funktionsweise möglichst sorgfältig und vollständig zu dokumentieren, um so das Produkt und die Produktion nachvollziehen zu können. Neben einer rein technischen Sicht spielen allerdings insbesondere bei quelloffener Hardware auch sozioökonomische Faktoren eine zentrale Rolle: Komponenten müssen mit üblichen Werkzeugen herzustellen oder günstig beschaffbar sein. Berücksichtigung müssen also auch Lieferketten und Zertifizierungs- und Zulassungsverfahren im jeweiligen Technologiestock finden.
Offenheit durch Transparenz ermöglicht die einfachere Herstellung eines Produktes durch eine:n Prosumenten /-in (siehe Prosument) oder auch die dezentrale Reparatur in Repair-Cafés. Im Sinne Grüner IT (siehe Grüne Software) könnte dies folglich auch zu einer Annäherung an das Konzept der nachhaltigen Kreislaufwirtschaft führen. Es verwundert daher nicht, dass Netzwerke wie der Open Source Ecology Germany e. V. gemeinsam mit Vertreter:innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft den Standard DIN SPEC 3105 „Open Source Hardware“ erarbeitet haben. Das Dokument steht als erster Standard des Deutschen Instituts für Normung selbst unter einer offenen Creative-Commons-Lizenz.
Standards bereits gut etabliert
Um die verschiedenen Aspekte der Quelloffenheit physischer Objekte abzudecken, haben sich entsprechende Definitionen, Lizenzen und Standards im Umfeld der Akteure herausgebildet. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die verschiedenen Initiativen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Bei den Hardwareprojekten, die durch die Open Source Hardware Association (OSHWA) zertifiziert sind, findet die OSH-Lizenz der Forschungseinrichtung CERN mehrheitlich Anwendung.
Sektor | Standards | Lizenzen OSHWA zertifizierter Projekte |
---|---|---|
Wissenschaft | CERN Open Hardware Licences (~ 53 %) | |
Zivilgesellschaft | TAPR (~ 5 %) | |
Industrie | Solderpad Hardware License (~ 0,6 %) | |
übergreifend | OSHWA, DIN SPEC 3105 | individuelle Projektlizenzen, Creative-Commons, nicht OSH-spezifische OS-Software- oder Public-Domain-Lizenzen (~ 40 %) |
Open Innovation in Entwicklungsgemeinschaften
Wie bereits beschrieben reicht es nicht aus, das Produkt durch weitreichende Dokumentationen transparent zu machen, es muss anwendungsorientiert auch Bedürfnisse und den gegebenenfalls begrenzten Handlungsspielraum potenzieller Nutzer:innen berücksichtigen. Dabei einen Überblick zu behalten, ist jedoch für Erfinder:in oder Hersteller:in allein kaum zu bewältigen. Abhilfe kann das kollektive Handeln einer Entwicklungsgemeinschaft schaffen, die sich um das Produkt konstituiert. Im Management-Diskurs hat sich diesbezüglich das Konzept der Open Innovation durchgesetzt, in dem der Innovationsprozess für externe Beitragende partiell geöffnet wird, um neue Ideen in das bestehende Produkt einzubeziehen – outside-in – oder neue Produktlinien und neue Märkte zu erschließen – inside-out. Bei quelloffener Produktentwicklung werden beide Prozesse gekoppelt, indem Beitragenden sowohl die Möglichkeit geboten wird, das Projekt gemeinschaftlich zu unterstützen, als auch die Freiheit gelassen wird, ein eigenes Projekt als Abspaltung (fork) privat weiterzuentwickeln (siehe 3D Drucker). So können Bedarfe und Herausforderung global und niedrigschwellig in Produktentwicklungs- und Innovationsprozesse miteinbezogen werden. Außerdem kann eine dezentrale Herstellung erfolgen, die der lokalen Wirtschaft hilft.
Themenkonjunkturen
Wo steht Open Hardware aktuell?
Der Diskurs um OSH ähnelt den anfänglichen Hürden und Bedenken um Open-Source-Software. Initiativen rund um OSH beschränken sich bisher vor allem auf zivilgesellschaftliche FabLabs bzw. Maker-Spaces oder Projekte im wissenschaftlichen Bereich, in denen man mit begrenzten finanziellen Ressourcen umgehen muss. Man denke an den 3D-Drucker als obligatorisches Ausstattungsmerkmal eines Reparatur-Cafés, die Arduino-Integration des heimischen Hobbyprojektes oder das Forschungsvorhaben, das – bei aller Raffinesse des Systems – einfach nicht dem Status eines Prototyps entwächst. Letztere haben zwar eine Vielzahl wegweisender Projektergebnisse erbracht, wie bspw. RepRap, einen freien 3D-Drucker für Kunststoffteile, der die Teile für seine Reproduktion selbst herstellen kann. Die Bekanntheit solcher Projekte bleibt jedoch dem einschlägigen Fachpublikum – oder der/dem interessierten Tüftler:in – vorenthalten.
Welche Wirkungen OSH entfalten kann, zeigt auch die Medizintechnik. Ein vom BMZ kofinanziertes Projekt unterstützt die günstige Herstellung von Open-Source-Prothesen in Sierra Leone. Auch während der COVID-19-Pandemie entwickelten diverse Initiativen zum Zweck der skalierbaren globalen Verteilung Beatmungsgeräte, deren Baupläne unter einer OSH-Lizenz veröffentlicht wurden. Die Offenheit ermöglichte eine dezentrale Herstellung, die in zahlreichen internationalen Vorhaben u. a. aus Frankreich, Spanien und Israel nach erfolgreicher Zulassung auch im Produktivbetrieb eingesetzt werden konnten. Auch die Bundesregierung unterstützte im Rahmen der #WirVsVirus-Kampagne ein deutsches Entwicklungsteam bei der Entwicklung eines Prototyps. Die Non-Profit-Organisation PubInv hat einen umfassenden Überblick erfolgreich eingesetzter Produkte und Prototypen wie das deutsche DIY-Beatmungsgerät veröffentlicht.
Zulassung und Zertifizierung stellen nach wie vor eine große Herausforderung dar. Finanzielle Sponsoren bleiben auch in der Open-Source-Bewegung unabdingbar, um die Produkte sicher und wettbewerbsfähig einsetzen zu können. Die Implikationen von OSH sollten jedoch nicht unterschätzt werden und könnten durchaus ähnliche Innovationseffekte auslösen wie einst Open-Source-Software. Der Erfolg der offenen Prozessorarchitektur RISC-V führte zuletzt dazu, dass sich die Rivalen Intel und AMD verbünden mussten. Auch außen- und sicherheitspolitisch bereitet die offene Architektur von RISC-V Kopfzerbrechen in aktuellen Debatten um internationale Handelsembargos und Sanktionen.
Folgenabschätzung
Möglichkeiten
- Förderung der lokalen Wirtschaft und Etablierung von Innovationsclustern
- Nachhaltigkeit durch Reparierbarkeit
- hohe Skalierbarkeit und globale Nutzung aufgrund ausbleibender Lizenzkosten
- Demokratisierung von Technik/ technischer Entwicklung durch Nachvollziehbarkeit
- günstige und skalierbare (Elektrotechnik-)Bildung
- Steigerung der digitalen Souveränität
- Vermeidung von Hardware-Backdoors
Wagnisse
- Sicherheitsrisiko Reverse Engineering
- Qualität muss langfristig gewährleistet werden, teilweise sind Zulassungs- und Zertifizierungsprozesse erforderlich
- Disruption etablierter Geschäfts- und Lizenzmodelle
- Nutzung für kriminelle oder sonstige gemeinschädliche Zwecke (bspw. Herstellung von Waffen)
Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Zivilgesellschaftliche Initiativen haben immer wieder ihr Innovationspotenzial unter Beweis gestellt. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit bestehenden FabLabs auf Augenhöhe ermöglicht es, kreative Synergien zu schaffen und gemeinsam Offene Hardware zu entwickeln und zu fördern. Durch den offenen Austausch von Wissen und Ressourcen wird eine innovative Umgebung geschaffen, in der Ideen reifen und realisiert werden können.
Gezielte Produktförderung
Durch die gezielte Förderung von Produkten unter freien Lizenzen können Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam eine nachhaltige Innovationskultur vorantreiben. Dies schafft nicht nur Transparenz, sondern erleichtert auch den Wissenstransfer und die Entwicklung marktfähiger Lösungen, die einen breiten gesellschaftlichen Nutzen haben. So können sowohl lokale Unternehmen und Startups als auch zivilgesellschaftliche Initiativen von gezielten Förderprogrammen profitieren, wie der Prototype Fund Hardware zeigt.
Nachvollziehbarkeit fördert Wissen und Vertrauen
Nachvollziehbare Hardware bietet großes Potenzial für den Bildungsbereich, da sie das Verständnis technischer Zusammenhänge fördert. Lernende können durch den direkten Zugang zu Bauplänen und technischen Spezifikationen selbst experimentieren und innovative Lösungen entwickeln. Zudem sind offene Hardware-Lösungen häufig kostengünstiger, was ihren Einsatz in Bildungseinrichtungen erleichtert. Die Förderung von Transparenz stärkt dabei nicht nur praktische Kenntnisse, sondern kann auch das Vertrauen in öffentliche IT-Systeme fördern.
Weiterführendes
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Prototype Fund Hardware https://hardware.prototypefund.de/
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