Informationen für Kommunen im demografischen Wandel – Das Entscheidungsunterstützungs-System im Projekt »Ageing Smart – Räume intelligent gestalten«

Der demografische Wandel in der Bundesrepublik bedeutet vor allem, dass bei der vorliegenden, niedrigen Geburtenrate und der hohen Lebenserwartung das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt. Dieser Trend wird auch durch die Zuwanderung aus dem Ausland nicht aufgehalten. Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre waren die Geburtenraten hoch und sind danach gesunken. Gleichzeitig ist die Sterblichkeit in frühen Lebensjahren zurückgegangen und die Lebenserwartung gestiegen. Die Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Geborenen, die sogenannten Babyboomer, bilden in der Bundesrepublik daher nach wie vor die zahlenmäßig stärksten Jahrgänge.
Bis Mitte der 2030er Jahre gehen die Babyboomer nun sukzessive in den Ruhestand über und wohnen häufig im »empty nest«, dem leeren Nest, aus dem ihre Kinder ausgezogen sind. Nur eine Minderheit plant einen Umzug, so dass die angestammte Wohnung auch zukünftig den Lebensmittelpunkt bilden wird. Mit dem Eintritt in den Ruhestand und den geringeren familiären Pflichten (mit Ausnahme von Pflegetätigkeiten) wachsen die Freiräume zur Freizeitgestaltung und teilweise auch zur Neuorientierung. Diese große Kohorte, die etwa ein Fünftel, in vielen ländlichen Regionen sogar ein Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner darstellt, ist häufig durch eine lange Wohndauer im Ort verankert, möchte ihren Alltag sinnvoll und erfüllend gestalten, fragt Angebote nach und engagiert sich möglicherweise in verschiedenen Initiativen. Veränderte Impulse sind entsprechend nicht nur auf individueller, sondern auch auf kommunaler Ebene erkennbar.
Für die kommunalen Akteur:innen ist es sinnvoll zu wissen, wie sich die Lebenslage und die Lebensstile der Babyboomer darstellen. Die Mehrheit der Babyboomer ist aktuell gesund und aktiv, aber teilweise liegen Beeinträchtigungen vor, und in den nächsten 30 Jahren dürfte mehrheitlich ein Verlust der Selbständigkeit eintreffen. Der gesundheitliche Status korreliert dabei deutlich mit der sozialen Lage. Die vielfältigen Bedürfnisse und Aktivitäten dieser großen Kohorte sind daher zukunftsorientiert bei der kommunalen Planung zu berücksichtigen.
Entwicklung eines Entscheidungsunterstützungssystems
Die Angebotsstruktur wiederum unterscheidet sich deutlich nach urbanen, suburbanen und ländlichen Wohnsituationen. Um Kommunen bei den anstehenden Transformationsprozessen aufgrund der Zunahme des Anteils älterer Personen zu unterstützen, kooperiert das von der Carl-Zeiss-Stiftung geförderte Projekt »Ageing Smart – Räume intelligent gestalten« (https://www.ageing-smart.de/) mit sieben Modellkommunen aus drei Bundesländern (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Thüringen). Diese repräsentieren zudem unterschiedliche Siedlungsräume: Jena, Kaiserslautern und Mannheim als Großstädte, Nieder-Olm und Remshalden als suburbane Kommunen sowie das Geisaer Land und die Verbandsgemeinde Kusel-Altenglan als ländliche Räume.
In dem interdisziplinären Projekt wird ein Entscheidungsunterstützungssystem (DSS, Decision Support System) entwickelt, das kommunale Akteur:innen bei planerischen Herausforderungen (nicht nur für Babyboomer) unterstützt. Eine Vielzahl von Informationen zu Babyboomern, lokalen Angeboten und Erreichbarkeiten von Infrastrukturen wurden zusammengestellt und aufbereitet: die Anteile der Babyboomer nach Stadt- oder Ortsteilen, Befragungsdaten zum Wohnen oder zum Freizeitverhalten, klimatische Situationen, die Gesundheitsversorgung und Informationen zur Nahversorgung oder zu Freiflächen. Die Daten sind kombinierbar und auf verschiedene Art darstellbar. Mit Hilfe von neu entwickelten mathematischen Modellen und Algorithmen können vielfältige Fragen zur multimodalen Erreichbarkeit und zur Standortplanung von Angeboten schnell und kostengünstig beantwortet werden. Es ist beispielsweise auch möglich, Fragen für Subpopulationen zu beantworten: In welcher Zeit wird ein Gemeindezentrum von wenig mobilen Babyboomern aus dem Stadtteil X erreicht? Wie zufrieden sind Babyboomer aus dem Wohngebiet Y mit der Nahversorgung? Wie gestaltet sich die Versorgung mit Allgemeinärzten und deren Erreichbarkeit in verschiedenen Ortsteilen?
Für die sieben Kommunen wurden Bevölkerungsdaten und Gebäudedaten eingepflegt sowie projektspezifische Informationen zu den Bedürfnissen und Lebenslagen der Babyboomer zusammengestellt oder selbst erhoben (vgl. Abb. 1). Das Team vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz hat ein Metadatentool entwickelt, um den Zugriff, die Verarbeitung und den Datenschutz der verschiedenartigen Datenquellen zu gewährleisten (vgl. Abb. 2). Zu den Spezifika der Kommunen und Siedlungsräume traten Unterschiede der Verwaltungsstrukturen und der Verfügbarkeit kommunaler Daten hinzu, was sich auf die Durchführung des Projekts, aber auch der Planungsprozesse auswirkt.

Abbildung 1: Funktionsweise des DSS, Quelle: Projekt »Ageing Smart – Räume intelligent gestalten« (www.ageing-smart.de)

Abbildung 2: Der Umgang mit Daten, Quelle: Mayer, J., Memmel, M. (2025): Konzeption und Umsetzung von Datenmanagementstrategien im Projekt »Ageing Smart – Räume intelligent gestalten«. In: Spellerberg, A., Ruzika, St. (Hrsg.); s. Fn. 1
Einsatz des Tools in der kommunalen Praxis
Die verschiedenen Teilprojekte aus der Regionalentwicklung, der Stadtplanung, der Stadtsoziologie, der kommunalen Finanzen und der Klimatologie tragen zu den inhaltlichen Problemstellungen im DSS bei. Das Fachgebiet Daten, Visualisierung, Monitoring und Planung setzt den Schwerpunkt auf Visualisierung, um eine intuitive Nutzung zu ermöglichen. Die dynamische, multikriterielle Standort-, Layout- und Routenplanung stellt ein Bindeglied zwischen den disziplinären Fragestellungen und der Entwicklung der Plattform dar.
Ein Beispiel ist das Teilprojekt zum Stadtklima, das zur Pflege und Aktualisierung des Baumkatasters in Jena und Kaiserslautern beiträgt. Die KI-gestützte Erkennung von Baumarten sowie von Stressfaktoren, etwa durch Trockenheit, lassen eine effizientere Planung und Pflege zu. Im Bereich der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum können Arztpraxen sowie die aktuelle und die zukünftige Erreichbarkeit dargestellt werden. Strategische Empfehlungen helfen den ländlichen und suburbanen Kommunen, Schritte gegen einen Mangel ärztlicher Versorgung vorzubeugen. Die Befragungen der Babyboomer in den Modellkommunen geben detailliert Auskunft über die verschiedenen Lebenslagen und die Lebensqualität. Untergruppen können genauer betrachtet werden, z. B. die Verkehrsmittelwahl von älteren Babyboomern oder Freizeitvorlieben differenziert nach städtischen, suburbanen und ländlichen Räumen. Für Mannheim wurde die optimale Neuansiedlung eines Seniorentreffs analysiert und dargestellt. Und das kommunalökonomische Wirkungsmodell schätzt sowohl die einnahmeseitigen als auch die ausgabenseitigen Wirkungen der Alterung der Bevölkerung. In den folgenden Screenshots sind einige Funktionalitäten des DSS dargestellt (Abb. 3a und 3b).

Abbildung 3a: Stadtstrukturtypen und Points of Interest in Jena. Screenshot vom DSS; Quelle: Projekt »Ageing Smart – Räume intelligent gestalten« (www.ageing-smart.de)

Abbildung 3b: Erreichbarkeiten von sozialen Treffpunkten, Nahversorgungsangeboten und Kultureinrichtungen innerhalb verschiedener Zeitintervalle in Jena. Screenshot vom DSS; Quelle: Projekt »Ageing Smart – Räume intelligent gestalten« (www.ageing-smart.de)
Fazit: Nutzen eines datenbasierten Entscheidungsunterstützungssystems
Bei sehr unterschiedlichen Ausgangslagen und Rahmenbedingungen haben kommunale Projekte und Entwicklungen die demografische Situation zu berücksichtigen (u. a. bei der Mobilität und Nahversorgung). Informationen über lokale Angebote, die Bevölkerungsentwicklung und Präferenzen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen sind für eine gemeinwohlorientierte Planung eine notwendige Voraussetzung. Mit dem im Projekt «Ageing Smart – Räume intelligent gestalten» entwickelten DSS ist es gelungen, komplexe raumplanerische und versorgungsrelevante Daten aufzubereiten und damit eine fundierte und datenbasierte Entscheidungsgrundlage zu schaffen (Fraunhofer IESE, Berg und Team; Leitung Liggesmeyer). Auch zukünftige Bedarfe und Szenarien können prognostiziert werden. Die Voraussetzungen in den Kommunen sind dabei sehr unterschiedlich, denn viele Großstädte verfügen über Statistik- und Datenabteilungen mit gut entwickelten Datenbanken, die in den suburbanen und ländlichen Kommunen nur selten vorhanden sind.
Der Projektansatz war von Beginn an transdisziplinär angelegt. Am Anfang standen Diskussionsrunden in den Kommunen, in denen das methodische Instrumentarium mit den Kommunen abgestimmt wurde. Ergebnisse wurden präsentiert und diskutiert und Workshops zur Bedarfsanalyse durchgeführt. Da das entwickelte Tool den Kommunen nach Abschluss des Projektes übergeben werden soll – wobei Fragen der Datenaktualisierung noch zu klären sind –, erhofft sich das Forschungsteam, einen Beitrag zur langfristigen Unterstützung der Modellkommunen leisten zu können. Unter der Voraussetzung, dass das DSS zum Einsatz kommt, werden die Vorteile der Digitalisierung und Datenzusammenführung genutzt, so dass mit Ausstrahlungseffekten in die Verwaltungen zu rechnen ist. Teilweise ist dies bereits gelungen, z. B. bei den Algorithmen zur Berechnung der Erreichbarkeiten und der KI zur Baumerkennung, an denen die beteiligten Großstädte Interesse zeigen, um sie in eigene Software-Tools zu integrieren.
Detaillierte Informationen sind der gemeinsamen Buchpublikation des Projektes zu entnehmen: Spellerberg, A., Ruzika, S. (Hg.) (2025): Ageing Smart – digitale Instrumente im kommunalen Kontext. Daten, Analysen und Strategien (nicht nur) für Babyboomer. Wiesbaden: Springer Nature


