Registermodernisierung und Demokratie

Geöffnetes Schubfach eines hölzernen Karteikartenkatalogs mit sichtbaren Karteikarten

Ula Kuźma / Unsplash

In dieser mehrteiligen Blogreihe werden zentrale Aspekte der Registermodernisierung beleuchtet und technische, juristische sowie verwaltungspraktische Perspektiven eingebracht. Ziel ist es darzulegen, wie digitale Register bürger:innennah und sicher gestaltet werden können. Gleichzeitig sollen Hintergrundwissen vermittelt, aktuelle Entwicklungen eingeordnet und verschiedene Sichtweisen auf die Registermodernisierung dargestellt werden.

Das Warum der Registermodernisierung wurde schon oft besprochen. Auch in dieser Blogreihe. Once Only, Onlinezugangsgesetz, Single Digital Gateway-Verordnung der EU. Konkrete Notwendigkeiten für die “Modernisierung” gibt es viele. Grundlegende Kritik insbesondere hinsichtlich der Unmöglichkeit zur Einhaltung von Datenschutzvorgaben auch. Mitunter vermittelt die Diskussion den Eindruck, es gehe um die Wahl zwischen verfassungswidriger Modernisierung und formvollendeter Selbstlähmung. Ich möchte hier aber nochmal einen Schritt zurückgehen und einen breiteren Blick auf die Thematik werfen.

Digitalisierung – ein problematischer Begriff

Die Digitalisierung ist im Deutschen ein unpräziser Begriff. In einem anderen Text hatten wir diesem bereits die englischen Entsprechungen gegenübergestellt: digitization und digitalisation. Der eine beschreibt den technischen Schritt der Übertragung von realweltlichen Phänomenen in die Sprache der Computer (digitization). Ein analoges Bild wird beim Digitalisieren z.B. in einer Art und Weise in Einsen und Nullen übertragen, dass ein Computer in der Lage ist, hieraus über einen komplexen Prozess ein Bild auf einem Bildschirm oder über einen Drucker auf einem Blatt Papier zu erzeugen. Auf der anderen Seite steht die “digitalisation” für die Digitale Transformation, die mit dem vermehrten Einsatz digitaler Technologien und Werkzeuge in allen Lebensbereichen einhergeht. Digitalisierung geht also über die reine Übersetzung zur Maschinenlesbarkeit weit hinaus und ihre Bewertung erfordert den Blick auf die gesamte Komplexität der einzelnen, miteinander verzahnten Entwicklungen.

Zweischneidigkeit der Digitalisierung am Beispiel der Automatisierung

Ein Kernphänomen dieser digitalen Transformation, an dem sich die Ambiguität der Phänomene einfach aufzeigen lässt, ist die Automatisierung. Sie bietet eine Chance, effizientere und effektivere Prozesse zu ermöglichen. Zugleich birgt die Beschleunigung auch das Risiko der Verstärkung von unerwünschten Wirkungen etwa von Fehlern oder durch böswillige Eingriffe. Was wir auf der einen Seite nutzen wollen, um positive Veränderungen zu bewegen, kann auf der anderen Seite auch genutzt werden, um negative Effekte zu verstärken und Schäden zu maximieren. Diese interdependente Janusköpfigkeit ist gerade bei der Registermodernisierung sehr komplex. Daher gilt es, Risiken und Chancen im Kontext der teils neuen Herausforderungen der Digitalisierung (im weiteren Verlauf beider Begriffsräume) mit offenem Ergebnis zu betrachten und neu zu bewerten. Dies gilt insbesondere für das vermeintlich schärfste Schwert, das gegen die Registermodernisierung geschwungen wird.

Datenschutzbedenken

Der schärfste Kritikpunkt, der zur Registermodernisierung immer wieder angeführt wird, ist der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit. Die Identifikationsnummer, die durch das RegMoG und das IDNrG in die Register eingespielt werden soll, entspräche praktisch dem Wortlaut nach dem, was das Bundesverfassungsgericht im Kontext der Etablierung des Datenschutzrechtes untersagt habe. Ein Erkennungsmerkmal, das es ermöglichen würde, die verschiedenen Datenbestände der öffentlichen Verwaltung so zu verknüpfen, dass umfassende und eindeutige Personenprofile entstehen, sei nicht mit der Verfassung vereinbar.
So berechtigt die Forderung nach einem hohen Maß an Datenschutz ist, geht der Einwurf in seiner konkreten Ausprägung jedoch fehl. Nicht weil er in der Vergangenheit nicht seine Berechtigung hatte, sondern weil er Jahrzehnte der technischen Entwicklung unberücksichtigt lässt. In analogen Zeiten war die Befürchtung, Verknüpfbarkeit großer Datenbestände über ein eindeutiges Merkmal praktisch erst zu ermöglichen, eine sehr berechtigte. Inzwischen sind Datenbestände faktisch schon lange nicht mehr in dieser Art separiert. Nicht ein konkretes Verknüpfungsmerkmal oder böser Wille hat hierzu geführt, sondern einfach der technische Fortschritt. Mit heutiger Rechenleistung lassen sich bereits aus wenigen Merkmalen Daten verknüpfen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben.
Diese Herausforderung zeigt sich umso mehr im Kontext der Verwaltung, wo fast immer Basisdaten die Grundlage von Verwaltungsverfahren bilden und entsprechend in nahezu allen Registern vorhanden sein dürften. Die Möglichkeit der Profilbildung über diese Basisdaten, ihre hinreichende Korrektheit vorausgesetzt, ließe sich grundsätzlich aber ebenso einfach umsetzen. Wo zu Zeiten des Urteils des BVerfG noch davon ausgegangen werden musste, dass jemand alle Akten durchgehen müsste, würde dies heute automatisiert erfolgen. Die Digitalisierung hat so ein neues Risiko geschaffen, das sich nicht durch Verweis auf Urteile, die in anderen technischen Kontexten entstanden sind, ausräumen lässt und das es auf neue Art zu adressieren gilt.

Andere Perspektiven des Datenschutzes

Auf der Seite des Datenschutzes gibt es aber noch weitere Aspekte, die es zu berücksichtigen gilt. Minimierung der Daten, Ansprüche auf Richtigkeit und Kontrolle ließen sich in der Vergangenheit nur schwer umsetzen, könnten aber durch die Digitalisierung und Einführung einer IDNr. vereinfacht werden. Wir sollten uns ernsthaft fragen, ob wir potentielle Risiken, die durch die Verknüpfbarkeit der Datenbestände bestehen, nicht auch durch die Vorteile für den Datenschutz ausgleichen können, wenn wir das Gesamtsystem darauf auslegen. Hierfür ist es sehr maßgeblich, wie das Datenschutzcockpit ausgestaltet und in Zukunft ausgebaut wird und wie sehr die Politik bereit ist, die Bürger:innen zu ermächtigen, der Verwaltung bei der Verwendung ihrer Daten auf die Finger zu schauen und aktiv einzugreifen.

Trennung der Register - Schutzmechanismen des Förderalismus

Die Verknüpfung im modernen Sinne bringt aber noch einen anderen Aspekt mit sich, denn sie ermöglicht eine Verknüpfung der Datenbestände bei gleichzeitiger örtlicher Trennung. Daten müssen theoretisch nicht mehr “wandern”, um an verschiedenen Orten ihren Nutzen zu erfüllen. Sie können, einmal erhoben, vielen Stellen zur Verfügung gestellt werden. Dies erfordert auf der einen Seite starke Anstrengungen in der IT-Sicherheit, ermöglicht auf der anderen Seite aber auch, dass der Föderalismus seine Schutzmechanismen gegen unerwünschte Datennutzung aufspannen kann. Bleibt die Datenhaltung dezentral, auf Ebene der Länder und Kommunen, und stellt der Bund nur eine Infrastruktur für den Austausch zur Verfügung, dann haben die Länder die Möglichkeit, sich bei problematischen Bestrebungen auf Bundesebene oder in einzelnen Ländern selbst aus dem System auszuklinken oder einzelne Länder von Anfragen auszuschließen. Hierfür ist allerdings sicherzustellen, dass keine Schattenregister auf Bundesebene gebildet werden, die die Datenbestände aller Länder bündeln. Auch müssten Länder proaktiv tätig werden. Einen Automatismus gibt es nicht. Angesichts globaler Entwicklungen sind solche verfassungsfeindlichen Bestrebungen ein Szenario, das nicht mehr für komplett unwahrscheinlich gehalten werden sollte und entsprechend zu berücksichtigen ist.

Gute Verwaltung schützt Demokratie

Ebenfalls sollte nicht vergessen werden, dass ein arbeitsfähiger Staat, der in der Lage ist, seine gesetzlichen Aufgaben effektiv und effizient zu erfüllen, das beste Aushängeschild seines Systems ist. Unsere Demokratie lebt nicht nur davon, dass wir in Wahlen frei, gleich und geheim abstimmen und uns frei äußern können. Die Ergebnisse dieser Abstimmungen müssen auch praktische Veränderungen in unserem Alltag bewirken. Die öffentliche Verwaltung muss in die Lage versetzt werden, die in Recht gegossenen politischen Vorhaben wirksam umzusetzen. Hierfür brauchen wir Systeme, die nicht nur die Informationen in den Registern für Forschung und evidenzbasierte Politik zur Verfügung stellen – auch dies ist etwas, für das die Registermodernisierung einen Grundstein legen könnte – sondern auch gute Daten, die Teil- und Vollautomatisierung und so in transparenten und effizienten Prozessen effektive Entscheidungen im Einzelfall ermöglichen.

Ausblick

Zugegeben überspitzt und vereinfacht dieser Blogbeitrag. Dies ist auch dem Blogformat geschuldet, der zur pointierten Darstellung komplexer Sachverhalte zwingt und so die Realität nur unvollständig widerspiegeln kann. Das korrespondiert damit, dass die Narrative der Digitalisierung dazu zu neigen scheinen, entweder Dystopien oder Utopien zu erzeugen. Die Wahrheit wird, wie ich am Beispiel der Registermodernisierung aufzuzeigen versucht habe, irgendwo dazwischen liegen.
Die Digitalisierung bietet aber einen großen Fundus an Werkzeugen und Möglichkeiten, mit denen staatliches Handeln effektiver und effizienter werden kann. Die Macht des Staates, die durch Digitalisierung weiter gesteigert werden könnte, wird durch die Verfassung nicht umsonst eingehegt und beschränkt. Diese Schutzgedanken, die den konkreten Schutzprinzipien zugrunde liegen, die Bürger:innen vor dem Staat und den Staat vor bestimmten Veränderungen schützen, sind essenziell für das demokratische Gemeinwesen. Das heißt aber nicht, dass die Konzepte von vorgestern auch heute noch funktionieren. Vielmehr müssen sie im Kontext moderner Entwicklungen weitergedacht und für die aktuellen Herausforderungen angemessen bewehrt werden. Wir sollten sehr vorsichtig sein, dass wir nicht aus falsch verstandenen tradierten Schutzgedanken notwendige Innovationen im Staat blockieren und so neue Risiken schaffen. Wenn die wahrgenommene Handlungsfähigkeit des Staates hinter den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger zurückbleibt, wird das Vertrauen in den Staat über kurz oder lang erodieren. Wir sollten die alten Schutzziele unserer Verfassung und unseres Rechts insgesamt im Kontext digitaler Möglichkeiten neu denken. Nicht um Digitalisierung um jeden Preis zu ermöglichen, sondern auch um die Schwachstellen unserer bisherigen Praxis im Kontext der Digitalisierung angemessen zu adressieren und gleichzeitig die Chancen, die die Digitalisierung birgt, zu nutzen und nicht zu verbauen. Der Ansatz der Registermodernisierung ist hier sicherlich nicht makellos, aber die Modernisierung der Register bedeutet einen ersten Schritt in die Richtung, das Erreichen grundlegender Schutzziele und -gedanken weiter zu entwickeln.

Gastbeitrag

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Lesezeit: 7 Minuten
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simon-hunt

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