Geschickte Roboter
Computer rechnen schneller als Menschen, Industrieroboter fertigen mit Mikrometer-Präzision und KI schreibt Texte. Technologische Durchbrüche haben dazu geführt, dass Maschinen scheinbar uneinnehmbare Domänen menschlicher Fähigkeiten erobert haben. In einer Fertigkeit sind Menschen bisher jedoch unerreicht: Geschicklichkeit. Doch wie lange noch? Durchbrüche im Bereich KI und Sensorik könnten bald zur Entwicklung geschickter Roboter führen. Für den öffentlichen Sektor ergeben sich daraus zum einen Einsatzmöglichkeiten, z. B. in der Pflege und im Gesundheitswesen, und zum anderen strategische Handlungsfelder in der Forschungsförderung und bei der Schaffung eines regulatorischen Rahmens.
Geschicklichkeit ist ein schwieriges Problem
Ein rohes Ei zu greifen, ohne es zu zerbrechen, Schnürsenkel binden oder Kleidung zusammenfalten – für die meisten Menschen alltäglich. In der Robotik ist das Meistern solche Aufgaben allerdings eine komplexe, teilweise noch ungelöste, Herausforderung. In der Fachliteratur wird die menschliche Hand als vielseitigstes Geschicklichkeitsorgan im bekannten Universum bezeichnet. Opponierbare Daumen, etwa 3000 Tastrezeptoren pro Fingerspitze und ein großes Gehirn machen es möglich. Die Kombination aus Vielseitigkeit und Präzision, wie sie die menschliche Hand aufweist, ist ein ist extrem schwieriges Problem in der Robotik.
Was ist ein geschickter Roboter?
Ein geschickter Roboter besteht aus sechs Komponenten: Die Energieversorgung, das Steuerungssystem, mindestens ein Aktuator, ein Manipulator sowie externe und interne Sensoren. Bei der Energieversorgung handelt es sich in der Regel um Elektrizität, die kabelgebunden oder per Akku bereitgestellt wird. Das Steuerungssystem plant Aktionen und gibt Befehle an die Aktuatoren. Die Aktuatoren wandeln Energie in Bewegung um. Dabei kann es sich zum Beispiel um einen Motor handeln. Bei einem Manipulator handelt es sich um ein Bauteil, mit dem auf komplexe Weise mit der Umwelt interagiert wird. Hierbei kann es sich zum Beispiel um einen Greifarm handeln. Aus der Anzahl und den Typen der Gelenke ergeben sich Freiheitsgrade, die entscheidend sind für die Reichweite und die Beweglichkeit des Manipulators. Der Manipulator wird dabei durch Aktuatoren bewegt. Interne Sensoren erfassen den Zustand des Roboters, etwa die Position oder das Drehmoment eines Gelenks. Externe Sensoren erfassen Daten zur Umwelt. Dabei kann es sich zum Beispiel um Kameras oder Abstandssensoren handeln.

Abbildung 1: Systemarchitektur eines geschickten Roboters
Flexibilität und Präzision, welche die menschliche Hand so auszeichnen, sind zwei Dimensionen, anhand derer auch Roboter gemessen werden können. Viele Industrieroboter arbeiten hochpräzise sind aber nicht flexibel, da sie auf Aufgaben wie etwa das Verschweißen von Werkstücken spezialisiert sind. Dem gegenüber weisen mobile Roboter häufig eine hohe Flexibilität auf, aber eine geringe Präzision. Beispiele hierfür sind Laufroboter und Staubsaugerroboter. Staubsaugerroboter passen sich dem Schnitt der Wohnung an, kartieren diese und umfahren Hindernisse. Das Aufsaugen von Staub ist aber eine unpräzise Aufgabe. Geschickte Roboter sollen hohe Präzision und hohe Flexibilität vereinen.
Einordnung
Die Abgrenzung von geschickten Robotern zu anderen Robotern basiert auf der Fähigkeit der Geschicklichkeit. Es sind aber auch andere Abgrenzungen möglich: Kollaborative Roboter, kurz Cobots, zeichnen sich durch die sichere Zusammenarbeit mit Menschen aus (siehe Mensch-Maschine-Interaktion). Humanoide Roboter ahmen in ihrer Bauweise die menschliche Form nach. Softrobots zeichnen sich durch nachgiebige statt starrer Bestandteile aus. Bei kognitiven Robotern werden Methoden zur Wahrnehmung, zum Lernen und zur Planung integriert.
Die aus diesen Abgrenzungen resultierenden Klassen sind nicht zwangsläufig disjunkt. Beispielsweise ahmen viele geschickte Roboter die menschliche Hand nach und weisen damit eine humanoide Eigenschaft auf. In ihrer Gesamtform müssen sie Menschen jedoch nicht ähneln. Weiterhin existieren Ansätze für geschickte Roboter mit weichen Fingerkuppen. Diese Roboter befinden sich dann in einer Schnittmenge aus geschickten Robotern und Softrobots.
KI als Treiber der Entwicklung
Künstliche Intelligenz (siehe Denkende Maschinen) ist zwar nicht unabdingbar für geschickte Roboter, aber sie spielt bei modernen Ansätzen eine große Rolle. Dies betrifft zum Beispiel die Auswertung der Sensordaten. Dazu gehört etwa das Erkennen von Objekten und deren Position und Orientierung anhand von Kamerabildern oder die Interpretation taktiler Signale, um Materialeigenschaften einschätzen zu können. KI ermöglicht zudem die Planung von Greifstrategien für variable Objekte. Wesentlich ist KI außerdem beim Lernen aus Erfahrung. Bei letzterem besteht die Möglichkeit des Trainings anhand von Simulationen vor Übertragung eines KI-Modells auf reale Roboter. Dies funktioniert aber nicht immer, weil Simulationen nicht alle Aspekte der realen Welt perfekt nachbilden können (Sim-to-Real-Gap). Ein vielversprechender Ansatz, der Robotik und KI vereint, ist die Nutzung von Foundation-Modellen wie etwa Vision-Language-Action-Modellen. Diese Modelle bauen zumeist auf großen vortrainierten Bild- und Sprachmodellen auf und sind in der Lage, visuelle und sprachliche Informationen in Handlungsinstruktionen zu übersetzen.
Geschickte Roboter als Schnittstelle
Geschickte Roboter erweitern das Interaktionsspektrum von Maschinen mit ihrer Umwelt. Klassische KI-Systeme verarbeiten digitalen Input und erzeugen digitalen Output, ohne dabei eine physische Wahrnehmung zu besitzen. Geschickte Roboter stellen eine Schnittstelle von Computersystemen zur realen Welt dar, weil sie direkt mit ihrer Umwelt interagieren können. Deshalb sind geschickte Roboter auch von Bedeutung für verkörperte künstliche Intelligenz. Die Grundannahme dieses Forschungsfelds ist, dass die Interaktion mit der physischen Umwelt unabdingbar für die Entwicklung von KI-Systemen ist, die die physische Welt verstehen. Zukünftig könnte es daher auch zu einer positiven Rückkopplung zwischen KI und geschickter Robotik kommen: Geschickte Roboter sammeln über Interaktion mit der Umwelt Daten, diese Daten kommen dem Training von KI zugute, was eine verbesserte Steuerung der Roboter ermöglicht, was dann wiederum eine weitreichendere Interaktion mit der Umwelt ermöglicht. Es ist anzunehmen, dass die dabei anfallenden Datenmengen riesig sein werden. Zu einer Rückkopplung kann es deshalb nur kommen, wenn auch die erforderlichen Rechenressourcen (siehe Cloud Computing) zur Verfügung stehen.
Wo können geschickte Roboter zum Einsatz kommen?
Geschickte Roboter können theoretisch überall da zum Einsatz kommen, wo sowohl Flexibilität als auch Präzision gefragt sind. Häufig werden Gesundheitsversorgung und Pflege als potenzielle Einsatzbereiche diskutiert, die angesichts eines zunehmenden Bedarfs besonders relevant sind (siehe auch Ambient World). Geschickte Roboter könnten Patienten beispielsweise helfen, indem sie Hilfsmittel anreichen, beim Ankleiden unterstützen oder Verbände wechseln.
Weitere Einsatzbereiche sind Landwirtschaft, Lebensmittellogistik und Montage. Für die Ernte von Äpfeln gibt es schon kommerziell verfügbare Roboter, während für Früchte mit vergleichsweise weicher und empfindlicher Oberfläche - beispielsweise Erdbeeren oder Weintrauben - nur Prototypen existieren. In der Montage existieren Aufgaben, bei denen keine visuellen Informationen zur Verfügung stehen, etwa weil der Arbeitsbereich verdeckt ist. Geschickte Roboter könnten sich hier auf taktile Informationen statt Kamerabilder verlassen, um beispielsweise innerhalb eines Gehäuses Kabel zu verbinden oder eine Schraube festzuziehen (siehe Industrie 4.0).
Langfristig sind weitere Einsatzfelder denkbar. So können sie im Haushalt zum Einsatz kommen und deutlich mehr Aufgaben übernehmen als heutige Roboter, die auf einzelne Aufgaben wie etwa Staubsaugen spezialisiert sind. Fortschritte bei geschickten Robotern können auch der Entwicklung besserer Prothesen zugutekommen. Sensoren, Aktuatoren und Manipulatoren sind sowohl bei Prothesen als auch bei geschickten Robotern von Bedeutung.
Bereits heute helfen Roboter bei Aufgaben, die für Menschen ein hohes Risiko darstellen, zum Beispiel die Bergung und Entschärfung von Munition und der Umgang mit giftigen Substanzen. Diese Roboter sind allerdings noch sehr spezialisiert, weshalb viele Teilaufgaben immer noch von Menschen übernommen werden müssen. Geschickte Roboter könnten einen Großteil oder sogar alle Teilaufgaben übernehmen.
Entwicklungsstand und Fortschritt
Roboter mit Zwei-Finger-Greifern sind schon ausgereift und marktgängig. Auch Roboter mit Manipulatoren, die komplexere Interaktion ermöglichen sollen, sind bereits erhältlich. Allerdings ist hier die zur Hardware gehörige Software und Steuerung noch nicht ausgereift. Geschickte Roboter sind daher derzeit noch langsam, relativ unzuverlässig und nicht zuletzt ausgesprochen teuer.
Einschätzungen zur Zeitspanne bis zur technischen Reife von geschickten Robotern reichen von Jahren bis Jahrzehnte. Es ist davon auszugehen, dass anschließend an die technische Reife noch mehrere Jahre vergehen werden, bis die wirtschaftliche Reife erreicht und der sichere Einsatz zertifiziert ist.
Erschwert wird die Einschätzung zur Reife der Technologie und des Fortschritts dadurch, dass sich bisher keine einheitlichen Benchmarks etabliert haben. Es existieren Tests für unterschiedliche Aufgaben, die unterschiedliche Kriterien wie Erfolgsrate oder Geschwindigkeit berücksichtigen. Eine besondere Herausforderung bei Benchmarks für geschickte Roboter ist es, dass Tests viele Aufgaben mit großer Variabilität abbilden müssen. Anderenfalls könnten Hersteller ihre Roboter hinsichtlich einiger weniger Aufgaben optimieren.
Ausgangssituation in Deutschland
Deutschland gehört zu den Staaten mit der höchsten Roboterdichte. Insbesondere in der Industrie gibt es umfassende Erfahrungen mit dem Robotereinsatz, der auf eine generell hohe Akzeptanz trifft. Außerdem ist der Bedarf in potenziellen Einsatzbereichen geschickter Roboter - wie etwa Pflege und Landwirtschaft - hoch. Deutschland ist zudem ein starker Forschungsstandort im Bereich Robotik. Die größten Roboterhersteller kommen zwar aus Japan, aber auch im europäischen Raum gibt es einige große Hersteller. Zudem existieren in Deutschland einige Start-Ups, die sich auf geschickte und kognitive Robotik spezialisiert haben.
Aus deutscher und europäischer Sicht herausfordernd ist die wachsende Bedeutung großer KI-Modelle für die Entwicklung geschickter Roboter. Bei großen KI-Modellen sind Anbieter aus der Volksrepublik China und den USA führend. Die großen US-Technologieunternehmen (siehe Plattformökonomie) haben mittlerweile auch ihre Forschung zu geschickten Robotern intensiviert. Wenn sich herausstellt, dass große KI-Modelle eine Voraussetzung für die Weiterentwicklung geschickter Roboter sind, könnte sich ein Rückstand im Bereich KI auch auf den Bereich geschickte Robotik auswirken, der letztlich auch nicht ohne Einfluss auf die digitale Souveränität Deutschlands bleibt.
Themenkonjunkturen
Folgenabschätzung
Möglichkeiten
- Risikominimierung für menschliche Einsatzkräfte
- Einsatz in Pflege und Landwirtschaft
- Effizientere Industrieprozesse
- Fortschritte im Bereich verkörperter KI
- Chance zur frühen strategischen Positionierung
Wagnisse
- Hohe Investitionen erforderlich
- Zukünftige Entwicklung derzeit schwer absehbar
- Technologische Abhängigkeit droht
- Akzeptanz für den Einsatz von Robotern in Bereichen wie Pflege bleibt aus
Handlungsräume
Die Entwicklung einer standardisierten Benchmark fördern
Bisher ist der Vergleich von Geschicklichkeit bei Robotern weder über die Zeit noch zwischen Herstellern möglich. Standardisierte Benchmarks können nicht nur diese Lücke schließen, sondern bei ihrer Konzeption können auch Werte und strategische Ziele einfließen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass Fähigkeiten, die für bestimmte Anwendungen von hoher Relevanz sind, in den Benchmarks reflektiert sind, und, dass Aspekte wie Sicherheit (siehe Security by Design) und Nachhaltigkeit berücksichtigt werden.
Regulierung prüfen
Mit der KI-Verordnung hat die EU ein wegweisendes Gesetz zu KI verabschiedet. Für Roboter existieren europäisch harmonisierte Normen. Die Interaktion geschickte Roboter mit Menschen und der Umwelt wird jedoch voraussichtlich intensiver als bei aktuellen Robotern ausfallen, was neue Fragen aufwirft. Es ist daher sinnvoll zu prüfen, welche Bereiche von derzeitigen Gesetzen und Normen bereits ausreichend reguliert sind und wo noch Lücken bestehen. Idealerweise existiert eine ausreichende Regulierung bereits bevor geschickte Roboter die Marktreife erreichen.
Forschung zu spezialisierten KI-Modellen fördern
Die Nutzung großer KI-Modelle für geschickte Robotik ist ein populärer Ansatz. Bei solchen Modellen ist Europa jedoch im Rückstand im Vergleich zu der Volksrepublik China und den USA. Es könnte sich daher lohnen, auf stark auf Robotik spezialisierte Modelle zu setzen. Aufgrund der Spezialisierung können diese Modelle auch kleiner ausfallen als allgemeinere Modelle. Wenn damit gute Ergebnisse erzielt werden, kann sich daraus aufgrund des geringeren Aufwands beim Training und Betrieb ein Wettbewerbsvorteil ergeben.
Quellen und Weiterführendes
Robert Riener, Luca Rabezzana, Yves Zimmermann (2023): Do robots outperform humans in human-centered domains?
Elise Hancock (1995): The Handy Guide to Touch
Joanna Baker, Robert A. Barton, Chris Venditti (2025): Human dexterity and brains evolved hand in hand
Anton R. Sobinov, Sliman J. Bensmaia (2021): The neural mechanisms of manual dexterity
Hans Moravec (1988): Mind Children
Steffen Puhlmann, Jason Harris, Oliver Brock (2022): RBO Hand 3: A Platform for Soft Dexterous Manipulation
Destatis (2024): Bis 2049 werden voraussichtlich mindestens 280 000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt
LMU (2025): KI: Auf der Suche nach einem Körper
Gaofeng Li, Ruize Wang, Peisen Xu, Qi Ye, Jiming Chen (2025): The Developments and Challenges towards Dexterous and Embodied Robotic Manipulation: A Survey
Rodney Brooks (2025): Why Today’s Humanoids Won’t Learn Dexterity
Mathias Brandt (2024): Wo steht Deutschland bei der Robotisierung?
Experteninterview mit Frederic Lorbeer vom Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF



