unREFORMIERBAR: Impulse für die Staatsmodernisierung

unREFORMIERBAR: Impulse für die Staatsmodernisierung

ÖFIT-Illustration, CC-BY-SA, Original: Reichstag 2020 by Avda, CC BY-SA

 Montag, 17.03.2025, 14:30-19:30 Uhr
 Fraunhofer FOKUS, Auditorium 1, Kaiserin-Augusta-Allee 31, 10589 Berlin

Am 17. März 2025 veranstaltete das Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) die Konferenz „unREFORMIERBAR: Impulse für die Staatsmodernisierung“ am Fraunhofer-Institut FOKUS. Vertreter:innen der (Zivil-)Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Politik kamen zusammen, um sich in zwei Paneldiskussionen mit den Fragen auseinanderzusetzen, wie staatliches Handeln wirkungsorientierter werden kann und welche Governance es für die digitale Transformation von Staat und Gesellschaft braucht. Im Rahmenprogramm bekamen die Gäste Einblicke in zwei interaktive Demonstratoren des ÖFIT: den ReformExplorer, der Reformvorschläge zur Verwaltungsmodernisierung kategorisiert und durchsuchbar macht, und ein Tool, das die Potenziale und Limitationen der semantischen Analyse anhand digitalpolitischer Schlagworte im politischen Diskurs versteh- und erlebbar macht: Semantische Analysen Demonstrator.

Begrüßung und Eröffnung

In ihren Grußworten betonten ÖFIT-Leiter Prof. Dr. Peter Parycek und Cordula Kießling, Unterabteilungsleiterin im Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), den hohen Reformdruck bei der Digitalisierung der Gesellschaft und Wirtschaft, der sich in der hohen Anzahl an Papieren zur letzten Bundestagswahl widerspiegele. Peter Parycek unterstrich, dass sich die Leistungsfähigkeit des Staates in seinen Leistungen zeige. Das aktuelle Gesetzgebungsverfahren sei äußerst komplex und weder in Bezug auf Verwaltungsverfahren noch ihre Digitaltauglichkeit durchdacht. Er erläuterte einige zentrale Herausforderungen: interministerielle und föderale Zusammenarbeit, einheitliche Standards (TechStack) und Gesetzgebung.

Abbildung 1: Peter Parycek | Quelle: Paul Hahn / Fraunhofer FOKUS

Cordula Kießling lobte die langjährige Zusammenarbeit zwischen BMI und ÖFIT. Die aktuelle Fastenzeit sei ein Aufruf zum Verzicht, auch auf Egoismen und Partikularinteressen. Verzicht könne zu größerer Klarheit führen, sich auf das Wesentliche zu fokussieren, was auch im Bereich der Gesetzgebung hilfreich sei. Immer mehr Gesetze würden die bereits hohe Komplexität verschärfen. Die frühe Phase eines Regelungsvorhabens sollte dafür genutzt werden, die Wichtigkeit sowie mögliche Alternativen zu prüfen. Die GGO biete hier eine gute Grundlage. Vieles ginge auch ohne Grundgesetzänderung. Dabei sei es wichtig, auf die Wirkungsorientierung zu schauen.

Abbildung 2: Cordula Kießling | Quelle: Paul Hahn / Fraunhofer FOKUS

Panel I: Gute Bürokratie – Wie schaffen wir wirksame Gesetze?

Im ersten Impulsvortrag erläuterte Dr. Markus König (Infora) die Vorteile einer Outcome-orientierten Verwaltung: Diese ermögliche mehr Transformationsdynamik und Problemlösung und biete die angemessene Balance zwischen praktischer Handlungsfähigkeit und ambitionierter Zielerreichung. Viele Verwaltungsregeln würden eine Input-Orientierung auf Budget und Stellen befördern statt auf die Erreichung von Ergebnissen. Verwaltungsimmanente Verfahren und Regeln seien ein „blinder Fleck“ in den Reformdebatten. Die relevantesten Stellschrauben seien in den Bereichen Ressourcen, Aufgaben und Prozesse sowie Ergebnisse zu finden. Theoretisch sei die Zuständigkeit für den Vollzug laut Haushaltstitel klar geregelt, es gebe aber in der Praxis ein komplexes Ökosystem aus verschiedenen Ressorts und Dienstleistern. Daher seien institutionelle Regelungen erforderlich. Zudem sollten zunächst die Ziele eines Regelungsvorhaben definiert, und dann entsprechend Ressourcen zugeordnet werden.

Abbildung 3: Präsentationsfolie Wirkungen digitaltauglicher Regelungsvorhaben

Daran anschließend sprach Dr. Mike Weber (ÖFIT) über die Wirkung digitaltauglicher Regelungsvorhaben. In verschiedenen Schritten der Wirkungskette könnten verschiedene Wirkungen erzeugt werden, die oben abgebildet sind – etwa Digitaltauglichkeit oder Gerechtigkeit. Anhand der untersuchten Case Studies zeige sich, dass digitaltaugliche Regelungsvorhaben unter anderem zu mehr Markttransparenz und Vermeidung von Mehraufwänden, Prozessoptimierung durch medienbruchfreie Prozesse, Bereitschaft gegenüber weitergehenden Digitalisierungspotenzialen und der Umsetzung des OZG beitragen können. Potenziale lägen auch in scheinbar kleinen Änderungen, wie dem Wegfall von Unterschriftenfeldern, Code-Verfahren oder Kann-Bestimmungen. Hier kann die Präsentation Wirkungen digitaltauglicher Regelungsvorhaben eingesehen werden.

Abbildung 4: Präsentationsfolie Wirkungsorientierung in der Verwaltung

Danach stellte Dr. Vivien Benert (Agora Digitale Transformation) einige Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt E-Valuate vor, das bis Ende 2025 durch das BMDV gefördert wird. Hierfür wurden sechs Pilotprojekte mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Ansätzen aus der Digitalstrategie der Bundesregierung untersucht. Die daraus abgeleiteten Empfehlungen für mehr Wirkungsorientierung sind oben abgebildet. Hier ist die vollständige Präsentation Wirkungsorientierung in der Verwaltung abrufbar.

Abbildung 5: Mike Weber, Matthäus Schlummer, Anna Sinell, Arne Treves, Vivien Benert und Markus König | Quelle: Paul Hahn / Fraunhofer FOKUS

In der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Dr. Vivien Benert (Agora Digitale Transformation), Dr. Markus König (Infora), Matthäus Schlummer (Normenkontrollrat), Arne Treves (Re:Form) und Dr. Anna Sinell (DigitalService) über die Schaffung wirksamer Gesetze und deren Rolle als eine Kraft für gesellschaftliche Veränderung. Sie betonten die Notwendigkeit einer klaren Wirkungsorientierung in der Gesetzgebung, was Arne Treves mit diesen Worten auf den Punkt brachte: „Was denn sonst, wenn nicht Wirkung?“. Zu den wichtigsten Merkmalen einer guten Bürokratie zählten die Diskutant:innen messbare Ziele, Klarheit sowie ein lösungsorientierter Verwaltungsvollzug. Angesichts begrenzter Ressourcen helfe Wirkungsorientierung auch bei der Depriorisierung. Matthäus Schlummer forderte, dass neben dem grundsätzlichen Erfüllungsaufwand – also den Kosten für Verwaltung und Bürger:innen – auch der Nutzen eines Gesetzes stärker in Frage gestellt werde. Als Beispiel verwies er auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO): Zwar habe die EU ehrgeizige Ziele formuliert, doch fehlten vielerorts die notwendigen Ressourcen für eine effektive Umsetzung. Bei wirksamen Gesetzen werde der Vollzug vom Anfang an mitbedacht, unterstrich Anna Sinell.

Die Diskussion beleuchtete auch den Umgang mit Fehlern in der Gesetzgebung, wobei die Niederlande als positives Beispiel für eine transparente und konstruktive Fehlerkultur genannt wurden. Markus König warnte, dass Wirkungsorientierung nicht automatisch zu Verbesserung führe – vielmehr gehe es darum, Klarheit über die Wirkung zu schaffen und konkrete Ziele zu verfolgen. Die Digitalisierung sei kein Selbstzweck, unterstrich Vivien Benert. Die Schwierigkeit des Messens wurde hervorgehoben, jedoch seien laut Anna Sinell digitale Services grundsätzlich gut messbar. Vivien Benert ergänzte, dass mit pragmatischen Methoden zumindest auf Zielgruppenebene Erfolge gemessen werden könnten: Wenn zunächst der Outcome erreicht sei, könne man danach den Impact bewerten. Eine digitale Gestaltung von Verwaltungsprozessen könne zu effizienteren Abläufen führen und Menschen in der Verwaltung befähigen: Etwa bei der Einbürgerung könnten die Schritte durch die digitaltaugliche Gestaltung drastisch reduziert werden, indem der Austausch mit den Behörden im Herkunftsland automatisiert werde, so Anna Sinell.

Als wichtige Kennzahlen, die strategische Orientierung bieten könnten, wurden die Zufriedenheit der Adressat:innen sowie die Sicherheit und Souveränität genannt. Ein besserer öffentlicher Service – sei es in der Verwaltung, Justiz oder im Gesundheitssystem – fördere das Vertrauen der Bürger:innen in den Staat. Ein (wissenschaftliches) Evaluierungskonzept könne dabei helfen, die Zielerreichung öffentlicher zu machen. Markus König betonte, dass es nicht nur darum gehe, bestehende Prozesse zu digitalisieren, sondern sie auch grundlegend zu transformieren.

In den vielen Positionspapieren, die nach der Bundeswahl veröffentlicht wurden, gebe es laut Arne Treves eine hohe Übereinstimmung, insbesondere bei der Wirkungsorientierung. Dennoch herrsche in politischen Gesprächen noch große Unsicherheit darüber, wie Wirkungsorientierung umgesetzt werden könne. Markus König mahnte, dass in der Praxis weiterhin eine starke Input-Orientierung vorherrsche. Sollte ein Digitalministerium geschaffen werden, müsse es von Beginn an die Wirkungsorientierung mitbedenken. Matthäus Schlummer wies darauf hin, dass Ministerien oft Aufgaben übernähmen, die eigentlich nicht in ihren Verantwortungsbereich fielen – etwa die Steuerung großer IT-Projekte. Es gebe bereits viele Institutionen wie das ITDZ oder die Bundesnetzagentur, doch es gebe Überschneidungen in der Verantwortungsstruktur. Hier müsse grundsätzlich über eine bessere Organisation nachgedacht werden, unabhängig davon, wie Gesetze gestaltet würden.

Arne Treves brachte die Idee eines „Bundeswirkungshofs“ ins Spiel, um eine konsequente Wirkungsorientierung zu gewährleisten. Auf die Frage nach dem nächsten Schritt wurden die operative Umsetzbarkeit für jede Verwaltungseinheit sowie der politische Mut, klare Ziele zu formulieren und eine öffentliche Debatte zu führen, betont. Abschließend fasste Anna Sinell die Hebel für eine erfolgreiche Umsetzung zusammen: Kompetenzen, die Einbindung der betroffenen Akteur:innen, und Mut und Offenheit, neue Wege zu gehen. Auf Bundesebene müssten gesetzliche Rahmenbedingungen und Register geschaffen werden.

Panel II: An einem Strang – Governance im digitalen Staat

Abbildung 6: Präsentationsfolie Preview des Deutschland-Index der Digitalisierung 2025 – Index Verwaltung

Das zweite Panel wurde von Nicole Opiela (ÖFIT) eröffnet, die erste Ergebnisse des Deutschland-Index der Digitalisierung 2025 zum Themenfeld Verwaltung vorstellte (oben abgebildet). Die Ziele des OZG seien noch lange nicht erreicht, auffallend sei auch die unterschiedliche Dynamik bei der Umsetzung zwischen den Ländern. Hinzukomme, dass der Anteil der Bürger:innen, die digitale Verwaltungsleistungen nutzten, sich nicht erhöht habe. Die Bewertung des digitalen Angebots der eigenen Stadt oder Gemeinde sei unverändert positiv. Die vollständige Präsentation Preview des Deutschland-Index der Digitalisierung 2025 – Index Verwaltung kann hier abgerufen werden.

Daran anschließend präsentierte Kai Dittmann (Gesellschaft für Freiheitsrechte) die Vision eines Digitalministeriums aus der Perspektive des Bündnis F5. Er betonte die Notwendigkeit, ein Digitalministerium über die bloße Verwaltungsdigitalisierung hinaus zu gestalten. Ein zentraler Punkt sei die Regulierung, insbesondere in Bezug auf Plattformen und Künstliche Intelligenz. Wichtige Punkte bei der Schaffung eines Digitalministeriums seien eigene, federführende Gesetze, ein entsprechendes Budget sowie qualifiziertes Personal, das auch aus erfahrenen Mitarbeitenden anderer Ministerien bestehe. Zudem brauche es einen Staatssekretär für Digitale Gesellschaft, um die Digitalisierung wertebasiert zu gestalten.

Prof. Dr. Peter Parycek (ÖFIT) wies darauf hin, dass die Digitalisierung des Bundes über Budgets steuerbar sei. Er sprach sich für eine detaillierte Problemanalyse vor der Projektumsetzung aus. Über eine Digitalagentur ließe sich die Priorisierung von Projekten realisieren. Fragen, die zentral geklärt werden sollten, seien die Registermodernisierung und die Weiterentwicklung von OZG-Komponenten. Bei der Umsetzung des EfA-Prinzips wäre eine Möglichkeit, eine Koalition der Willigen zu bilden, anstatt weiterhin einen Konsens mit allen anzustreben, um mehr Dynamik zu schaffen. In den Ländern fehle es noch an Bewusstsein über die eigenen Aufgaben bei der Registermodernisierung. Der Bund könne nur zentrale Komponenten für den Datenaustausch bereitstellen. Er kritisierte die Vielzahl an Datenschutzgesetzen als hinderlich und empfahl eine progressive Auslegung, um Weichen zu stellen. Ein Problem sei die hohe Einzelfallgerechtigkeit, die nur ein Prinzip darstelle und der Rechtssicherheit gegenübergestellt werden könne, um Gesetze zu vereinfachen.

Abbildung 7: Nicole Opiela, Gerhard Kussel, Uda Bastians, Jörg Kremer, Kai Dittmann und Lars Lentfer | Quelle: Paul Hahn / Fraunhofer FOKUS

In der zweiten Paneldiskussion diskutierten Kai Dittmann (Gesellschaft für Freiheitsrechte), Jörg Kremer (FITKO), Dr. Uda Bastians (Deutscher Städtetag), Dr. Gerhard Kussel (Acatech) und Lars Lentfer (PD) über Governance im digitalen Staat. Zu Beginn fassten sie ihre Prioritäten für ein wirksames Digitalministerium zusammen: Es brauche echten Willen, zudem müsse es unbequem sein, klare Kompetenzen haben, über föderale Grenzen hinweg denken und die Länder miteinbinden, aber nicht versuchen, den IT-Planungsrat zu ersetzen. Das alles sei nicht einfach, sondern brauche Mut, betonte Lars Lentfer. Uda Bastians unterstrich, dass Kommunen mehr Vorgaben, zentrale Lösungen für zentrale Aufgaben und verbindliche Beteiligungsmöglichkeiten bräuchten, um nicht überlastet zu werden. Jörg Kremer und Kai Dittmann ergänzten, dass die Aufgaben, Arbeitskultur und das Leitbild des Digitalministeriums genau definiert werden müssten, um schnell arbeitsfähig zu sein. Gerhard Kussel hob hervor, dass dieser Kulturwandel in alle Bereiche der Verwaltung integriert werden müsse, nicht nur in ein Digitalministerium.

In der Diskussion wurde die Rolle einer Digitalagentur als mögliche zentrale Koordinierungsstelle diskutiert, die Kompetenzen und Ressourcen bündeln und Schlagkraft erhöhen könnte. Als positives Beispiel wies Gerhard Kussel auf die Digitalagentur in Dänemark. Zugleich warnte Lars Lentfer, dass die Schaffung einer zusätzlichen Organisation nicht alles lösen könne. Bezüglich der Zusammenarbeit mit anderen Akteur:innen könne es hilfreich sein, die Aufgaben zeitlich begrenzt zu denken, empfahl er.

In Bezug auf Governance wurde festgestellt, dass eine Neuordnung der Kompetenzen erforderlich sei, um eine stärkere Einbindung der Kommunen zu ermöglichen. Es wurde diskutiert, wie die Kommunen in digitale Prozesse eingebunden werden könnten und welche Rolle der Bund dabei spielen sollte. Die Bereiche, in denen Kommunen keine eigenen Handlungs- und Gestaltungskompetenzen hätten, könnten zentral vom Bund gesteuert werden. Zudem bedürfe es einer Reduzierung der Komplexität, die mit den Dresdener Forderungen erreicht werden könne, so Uda Bastians. Die Kommunen mit mehr Digitalisierungsaufgaben zu belasten, ohne begleitende Geldmittel bereitzustellen, funktioniere nicht, vor allem in kleineren Kommunen, warnte Gerhard Kussel. Über eine Neustrukturierung könne man mehr ins Tun und Ausprobieren kommen.

Anerkannt wurde auch, dass die Digitalisierung mehr Aufgaben umfasse als nur die Verwaltungsdigitalisierung. Als Gesellschaft hätten wir uns nie die Frage gestellt, ob und wie wir eine digitale Gesellschaft wollen, gab Jörg Kremer zu Bedenken. Im Kern gehe es bei der Digitalisierung um die Neuorganisation von Arbeit: Deshalb brauche es auch tiefgreifendere Reformen. Uda Bastians betonte, dass auch kommerzielle Dienstleister ihre Dienste anbieten können müssten – die Frage sei nur wie. Laut Gerhard Kussel sei der Markt überschaubar, es brauche aber klare Standards für Daten und „rote Linien“ für die Herausgabe an private Dienstleister.

Die Diskussion schloss mit dem Konsens, dass es wichtig sei, klar definierte Ziele für die Digitalisierung zu setzen, bevor Strukturen geschaffen würden. Die Verwaltungsdigitalisierung sollte über alle föderalen Strukturen hinweg wirken – nicht nur nach unten, sondern auch von den Kommunen nach oben. Schließlich sollten diese hochgradig lernfähigen Strukturen nicht als Haus, sondern als Diener von uns allen begriffen werden.