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Digital Only & Digital First – wie steht es um die rechtlichen Rahmenbedingungen?

Digital Only & Digital First – wie steht es um die rechtlichen Rahmenbedingungen?

Das Interview mit wurde geführt von Simon Sebastian Hunt und Niels Kölker (ÖFIT)

Jonas Botta ist Forschungsreferent im Programmbereich »Digitalisierung« am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung und Habilitand an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.

 

Editors Note: Wie kann zukünftig sichergestellt werden, dass Gesetze mit einem digitalen bzw. (teil)automatisierten Verwaltungsvollzugsprozess kompatibel sind? Hierfür muss der Hebel bereits bei der Entwurfsphase von Gesetzen und Verordnungen angesetzt werden. So lautete eine Kernaussage unseres Impulspapiers »Recht Digital«, in dem wir einige der Voraussetzungen dargestellt haben, die für automationstaugliche Rechtsnormen berücksichtigt werden sollten. Anknüpfend an dieses Papier möchten wir in einer Blogreihe das Themenfeld »Digitales Recht« explorativ in verschiedene Richtung weiter beleuchten.

Vor dem Hintergrund der digitalen Verwaltungstransformation ist schon lange die Rede von »Digital First« oder sogar »Digital Only«. Doch lassen sich diese Konzepte überhaupt mit der geltenden Rechtsordnung vereinbaren? Dazu haben wir den Juristen Dr. Jonas Botta vom Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung interviewt und ihn unter anderem gefragt, ob es ein generelles Recht auf analogen Zugang gibt.

Kompetenzzentrum Öffentliche IT: Herr Botta, was beschäftigt Sie an diesem Thema? Warum ist es Ihrer Meinung nach relevant?

Dr. Jonas Botta: Auch wenn Bund und Länder das Onlinezugangsgesetz (OZG) nicht fristgerecht bis Ende 2022 umgesetzt haben, schreitet die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung unaufhaltsam voran. Es braucht daher schon jetzt Überlegungen dazu, wie sich die Effizienzpotenziale einer digitalen Verwaltung bestmöglich entfalten können. Der aktuelle Regelungsansatz im E-Government-Recht widmet sich vornehmlich dem Zugang zur Verwaltung. Die innerbehördliche Bearbeitung eines elektronisch gestellten Antrags muss hingegen noch nicht digital erfolgen. Aus deutschen Amtsstuben sind Papierberge deshalb noch lange nicht wegzudenken. Das neue Bayerische Digitalgesetz sieht nun indes vor, dass Verwaltungsverfahren zukünftig im Regelfall digital durchgeführt werden. Diese Vorrangigkeit digitaler Behördenarbeit wird als »Digital First« bezeichnet.

Einen großen Schritt weiter geht die – derzeit nur theoretische – Überlegung, bestimmte Verwaltungsleistungen ausschließlich elektronisch anzubieten, sprich »Digital Only«. Für Unternehmen besteht teilweise bereits eine derartige E-Government-Nutzungspflicht. Insbesondere in einfach strukturierten (unechten) Massenverfahren bieten sich ausschließlich digitale Verwaltungszugänge auch für Bürger:innen an. So ließe sich etwa die internetbasierte Fahrzeugzulassung als alleinige Zulassungsform festlegen. Für eine solche Entwicklung sprechen sowohl die Lebensrealität der Bürger:innen als auch die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung, die gebieten, die günstigste Relation zwischen dem verfolgten Zweck und den einzusetzenden Ressourcen anzustreben.

Meine rechtswissenschaftliche Forschung widmet sich der Frage, inwieweit sich derartige Ideen zur Verwaltungsmodernisierung mit der geltenden Rechtsordnung vereinbaren lassen. Die Antwort auf diese Frage hilft dem Gesetzgeber meines Erachtens nicht erst in Zukunft, sondern kann schon jetzt Wirkung für eine effektive Verwaltungsdigitalisierung entfalten. Denn sind die Zulässigkeitsgrenzen ausgeleuchtet, besteht auch endlich Klarheit darüber, was rechtskonform möglich ist. Diese Rechtssicherheit kann als Digitalisierungsbeschleunigerin wirken.

ÖFIT: Was hat es mit dem »Recht auf analogen Zugang« auf sich, zu dem Sie in diesem Zusammenhang auch forschen?

Botta: Eine immer stärkere Verwaltungsdigitalisierung bringt nicht für alle Bürger:innen nur Vorteile mit sich. So klagte im Jahr 2020 ein Mann in Bayern dagegen, dass die Corona-Soforthilfen für freischaffende Künstler:innen nur elektronisch beantragt werden konnten. Da er weder über ein entsprechendes Endgerät noch über einen Internetzugang verfügte, sah er sich hierdurch diskriminiert.

Ob eine solche Benachteiligung zulässig ist oder ob der Einzelne – in den Worten des ehemaligen Bundesjustizministers Heiko Maas – ein Recht auf ein analoges Leben hat, wird zu einer der entscheidenden Fragen der digitalen Verwaltungstransformation werden. Dabei ist diese Frage keineswegs neu. So mahnte der ehemalige Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem bereits zur Jahrtausendwende, dass die Verwaltung neue Kommunikationsmöglichkeiten nicht einsetzen dürfe, wenn solche Zugangshürden zu Barrieren bei der Interaktion mit der Verwaltung führten. Wenige Jahre später dachte der Rechtswissenschaftler Dirk Heckmann sogar ein mögliches Grundrecht auf IT-Abwehr an und bejahte es, jedenfalls bis die notwendige umfassende Akzeptanz und Verbreitung von IT-Technologie in allen gesellschaftlichen Schichten gesichert sei.

Nun sind nicht nur der Stand der Technik und ihr Verbreitungsgrad, sondern auch der politische Wille zur Verwaltungsdigitalisierung heute ein ganz anderer als damals. Daher habe ich mir die Frage gestellt, inwieweit der digitalen Verwaltungstransformation grundrechtliche Grenzen gesetzt sind. Mit anderen Worten: Ob der Einzelne ein generelles Recht darauf hat, sich dem technologischen Wandel entziehen und dauerhaft einen analogen Zugang zur Verwaltung einfordern zu können.

ÖFIT: Wo könnte ein solches Recht begründet sein? Das Datenschutzrecht wird ja nicht selten als »Digitalisierungsverhinderungsrecht« bezeichnet. Steht es auch der Verwaltungsdigitalisierung unüberwindbar entgegen?

Botta: Als normativer Anknüpfungspunkt kommt in der Tat insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Betracht. Dieses Grundrecht schützt bekanntlich die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Gemessen hieran erweist sich die digitale Verwaltungstransformation als grundrechtssensibler Prozess. Denn auch wenn Behörden schon lange Zeit ganze Gürteltiere mit personenbezogenen Daten füllen können, eröffnet der Siegeszug des E-Government nie gekannte Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten.

Das Once-Only-Prinzip soll es Bürger:innen zukünftig ermöglichen, ihre Daten und Dokumente Behörden nur noch einmalig mitzuteilen. Um die Bürger:innen (und die Verwaltung) zu entlasten, sollen diese Daten dann behördenübergreifend genutzt werden können. Dafür steht eine umfassende Modernisierung der Fachregister von Bund und Ländern an, die den behördlichen Datenaustausch erleichtern soll. Besonders sensibel ist in diesem Zusammenhang die gesetzgeberische Entscheidung, die steuerliche Identifikationsnummer registerübergreifend als Ordnungsmerkmal zu verwenden, um die Datensätze dem Einzelnen zuordnen zu können. Dies birgt grundsätzlich das Risiko der Bildung von Persönlichkeitsprofilen.

Auch angesichts dieser Gefahrenpotenziale ergibt sich aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung jedoch kein generelles Recht auf analogen Zugang, das den Einzelnen vor jeglicher elektronischer Datenverarbeitung bewahrte. Vielmehr wären grundsätzlich auch ausschließlich digitale Verwaltungszugänge zulässig. Voraussetzung ist stets, dass der Verwendungszweck der Datenverarbeitung bereichsspezifisch und präzise bestimmt ist und die Daten für diesen Zweck geeignet und erforderlich sind. Entscheidend ist somit die datenschutzkonforme Ausgestaltung der digitalen Verwaltungstransformation und nicht das dauerhafte Vorhalten analoger Alternativen.

ÖFIT: Ein Recht auf analogen Zugang gibt es demnach in der deutschen Rechtsordnung nicht?

Botta: Jedenfalls gibt es kein generelles Recht auf analogen Zugang, das jeder Bürgerin und jedem Bürger begründungsfrei zustünde. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz setzt der digitalen Verwaltungstransformation jedoch partiell Grenzen. Zwar hat die Bayerische Justiz im zuvor erwähnten Fall entschieden, dass es nicht gleichheitswidrig gewesen sei, dass sich die Leistungen aus dem Künstlerhilfsprogramm nur elektronisch beantragen ließen. Der Kläger habe über ausreichend digitale Zugangsmöglichkeiten verfügt, da es ihm frei gestanden hätte, die Internetzugänge Bekannter, öffentliche und private WLAN-Hotspots oder Internetcafés zu nutzen. Diese Argumentation lässt sich aber nicht pauschal auf jeden Einzelfall übertragen. Insbesondere setzt eine digitale Teilhabe nicht nur eine entsprechende Ausstattung, sondern auch Nutzungskompetenz voraus. Gerade Frauen im Rentenalter mit niedriger formaler Bildung gelten in Deutschland als digital abgehängt. Auch ein Blick ins europäische Ausland zeigt die Schattenseiten einer vorrangig digital zugänglichen Verwaltung auf. Nachdem in Spanien bereits seit 2007 ein Recht auf elektronische Kommunikation mit der Verwaltung existiert, ist es mit der Zeit immer schwieriger geworden, Behördentermine zu erhalten, was auch dort vor allem lebenserfahrenere Menschen vor erhebliche Herausforderungen stellt.

ÖFIT: Wie könnte der Staat derartigen Härtefällen begegnen?

Botta: Beispielsweise ließen sich in den Bürgerämtern digitale Service-Terminals vorhalten, an denen auch Mitarbeiter:innen zur individuellen Unterstützung bereitstehen müssten. Dafür dürften keine übermäßigen Zusatzgebühren anfallen. Außerdem müsste sichergestellt sein, dass barrierefreie Verwaltungszugänge bestehen.

ÖFIT: Verwaltung ist Ländersache: Unabhängig von einem Recht auf analogen Zugang, könnte der Bund den Ländern Digital Only oder Digital First überhaupt vorschreiben? Auf welchem Wege wäre dies möglich?

Botta: Derzeit steht die Novellierung des Onlinezugangsgesetzes unmittelbar bevor. Es ist daher ein guter Zeitpunkt, um die Forderung nach »Digital First« in der Verwaltung zu unterstreichen. Dabei könnte die bayerische Regelung Pate stehen. Regeln kann der Bund eine derartige Vorgabe jedoch nicht allein. Es böte sich eine entsprechende Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes und eine Übernahme dieser Regelung in die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder an. In diesem Zusammenhang möchte ich auch betonen, dass eine solche Simultangesetzgebung im E-Government-Recht wieder zur Regel werden sollte. Die gegenwärtige Fragmentierung des rechtlichen Rahmens erschwert die Etablierung neuer Ansätze wie »Once Only« erheblich.

»Digital Only« mag zwar – im Gegensatz zu »Digital First« – noch Zukunftsmusik sein, aber selbst ein funktionierender Portalverbund mit tausenden digitalen Verwaltungsleistungen wird nicht die letzte Entwicklungsstufe von E-Government in Deutschland sein. Es muss daher frühzeitig erwogen werden, in welchen Bereichen »Digital Only« sinnvoll sein könnte. Gerade die kommunale Ebene könnte durch die Digitalisierung von Verwaltungsverfahren und die in diesem Zusammenhang mögliche Rückübertragung von Aufgaben auf Landes- und Bundesebene deutliche Gestaltungsspielräume zurückgewinnen.

Klar ist zugleich, dass die digitale Verwaltungstransformation nur zur Erfolgsgeschichte für Staat und Bürger:innen werden kann, wenn Nutzendenzentrierung, schnelles Internet und ein hohes IT-Sicherheitsniveau gewährleistet sind.

Ein Aufsatz zum Thema »Digital First« und »Digital Only« in der öffentlichen Verwaltung« von Dr. Jonas Botta erschien in der »Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2022« und ist hier online (im Abonnement) abrufbar.

Ein Überblick über die bisherigen Beiträge dieser Reihe:

  1. Entlasten, nicht entmachten: Was der Gesetzgeber heute tun kann, um die Automatisierung der öffentlichen Verwaltung zu unterstützen
  2. Modellieren statt programmieren: Low Code und die digitalisierte Körperschaftssteuer
  3. »Better Rules«: Neuseelands Erfahrung mit digitalisierbarem Recht in der Corona-Krise
  4. Recht digital: Schwer verständlich »by Design« und allenfalls teilweise automatisierbar?
  5. Cracking the Code
  6. Digitaltaugliches Recht – Aus Sicht der legistischen Praxis

Weiterführendes von ÖFIT:

Recht Digital – Maschinenverständlich und automatisierbar

Der vorliegende Impuls zeigt auf, welche sozio-technischen Aspekte in der Entstehung des digitalen Rechts zu berücksichtigen sind und wie der Rechtsetzungsprozess adaptiert werden kann, um eine Grundlage für die (Teil-)Automatisierung der Rechtsanwendung zu legen.

Resa Mohabbat Kar, Basanta E. P. Thapa, Simon Sebastian Hunt, Peter Parycek (2019)

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Analyse der rechtlich-technischen Gesamtarchitektur des Entwurfs des Registermodernisierungsgesetzes

Diese Stellungnahme zum Entwurf des Registermodernisierungsgesetzes für den Bundestags-Ausschuss für Inneres und Heimat hebt hervor, wie sich durch Architekturelemente wie das 4-Corner-Modell, das Datencockpit und die einheitliche Identifikationsnummer Verwaltungsmodernisierung, Datensicherheit und -schutz vereinbaren lassen.

Peter Parycek, Verena Huber, Simon S. Hunt, Anna-Sophie Novak, Basanta E.P. Thapa (2020)

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Veröffentlicht: 28.02.2023