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Die Bürgercloud als Kern eines digitalen Zwillings für die Verwaltung

Die Bürgercloud als Kern eines digitalen Zwillings für die Verwaltung

Gastbeitrag von

Prof. Dr. Thomas Meuche, Leiter des Kompetenzzentrums digitale Verwaltung der Hochschule Hof, Leiter des weiterqualifizierenden digitalen Studiengangs Digitale Verwaltung, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Strategiekommission Organisation und Personal der Sächsischen Staatsregierung

Das Kompetenzzentrum Digitale Verwaltung (KDV) der Hochschule Hof verfolgt das Ziel, Behörden aller Ebenen durch die Entwicklung von Prototypen bzw. Demonstratoren dabei zu unterstützen, künftig die an sie gestellten Anforderungen besser und effizienter zu erfüllen. Die immensen Herausforderungen, denen sich die öffentliche Verwaltung gegenübergestellt sieht, lassen sich nach unserer Überzeugung nicht durch die bisher eingeleiteten Maßnahmen – maßgeblich das Onlinezugangsgesetz und das Registermodernisierungsgesetz – bewältigen. Die bisherigen Ansätze zur Verwaltungsdigitalisierung gehen im Wesentlichen von einer Beibehaltung der etablierten Strukturen und Verfahrensweisen aus und versuchen, diese durch den Einsatz digitaler Werkzeuge effizienter zu machen.

Um das Potenzial einer umfassenden und auch strukturellen Änderung zu veranschaulichen, hat das KDV damit begonnen, einen digitalen Zwilling losgelöst von den vorhandenen Strukturen aufzubauen. Dessen Kern ist eine Bürgercloud. Diese beinhaltet alle Stammdaten der Bürger:innen, fasst also die Geburten-, Melde- und Passregister zusammen. Jeder dieser Datensätze ist mit einer einzigen BürgerID versehen, die die Person und deren Informationen eindeutig identifiziert. Ob hierfür die SteuerID oder eine Alternative verwendet wird, ist unerheblich. Die BürgerID wäre vergleichbar mit der IBAN für ein Bankkonto. Sie stellt den Dreh- und Angelpunkt für alle Interaktionen zwischen Behörde und Bürger:innen dar. Die Bürgerstammdaten sollten ausschließlich zentral in dieser Bürgercloud geführt werden. Bei bürgerbezogenen Vorgängen enthalten alle anderen Register, die als fachbezogene Datenbanken fungieren, lediglich die entsprec¬hende BürgerID. Somit werden zusätzliche personenbezogene Daten nicht mehr in diesen Registern geführt.

Damit ist erstens sichergestellt, dass nicht in tausenden von Registern redundante und eventuell widersprüchliche Daten vorgehalten werden. Zweitens gewährleistet dieser Ansatz, dass Änderungen in den Stammdaten, beispielsweise bei einem Umzug, Namenswechsel oder einer Änderung des Familienstandes, in allen relevanten Registern in Echtzeit vorliegen, weil in diesen keine Personenstammdaten mehr liegen, sondern nur darauf referenziert wird. Hat beispielsweise eine Person A eine Immobilie in einem Ort erworben, ist zum Zeitpunkt des Erwerbes jedoch noch in einer anderen Stadt gemeldet, wird im Grundsteuerregister die Wohnadresse gespeichert. Die entsprechenden Bescheide werden dann an diese geschickt. Verlegt die Person ihren Hauptwohnsitz an den Ort der neu erworbenen Immobilie, kann es vorkommen, dass die Änderung zwar im Melderegister, nicht jedoch im Grundsteuerregister vorgenommen wurde. Somit werden die Bescheide weiterhin an die alte Adresse gesendet, was zu einem erheblichen Mehraufwand führt.

Die Einführung einer zentralen Bürgercloud würde viele Verwaltungsvorgänge vereinfachen und dementsprechend Prozesse massiv beschleunigen. Denn die Überprüfung der Identität, beispielsweise durch Vorlage von Geburtsurkunden oder die physische Unterschrift unter ein Dokument, würde entfallen oder Fehler infolge nicht aktueller Anschriften entfielen. Auch müssten die Bürger:innen nicht bei jedem Antrag ihre kompletten Stammdaten erneut eingeben, was nicht nur lästig ist, sondern auch immer Fehlerquellen birgt. Neben der Verwaltung der Personenstammdaten soll die Bürgercloud auch als Behördenpostfach für Bürger:innen dienen. Dies bedeutet, dass sämtliche behördlichen Vorgänge, die eine Person betreffen, über dieses Postfach einsehbar und zugänglich sind. Dabei verbleiben jedoch die Schriftstücke in den jeweiligen Registern. Es erfolgt lediglich eine Referenzierung über die BürgerID.

Die in der Bürgercloud vorgehaltenen Daten gehören der jeweiligen Person. Sie entscheidet darüber, ob und wo diese Stammdaten genutzt werden. Stellt beispielsweise eine Person einen Antrag, muss sie sich authentifizieren, und gibt damit die für die Antragsbearbeitung relevanten Daten für die zuständigen Stellen frei. Zudem hat jede Person die Möglichkeit, jederzeit über ihr Stammdatenkonto zu sehen, wann welche Behörde und Person auf ihre Daten zugegriffen hat. Ein direkter Zugriff auf die Personendaten darf nur zur Erhebung von Steuern und Gebühren und zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung durch die zuständigen Behörden erfolgen. In Sicherheitsfragen kann die Transparenz eingeschränkt sein, wie das bereits heute der Fall ist. Das dargestellte Modell ist der aktuellen Praxis, Stammdaten in einer Vielzahl von Registern zu führen, insbesondere in Bezug auf den Datenschutz, deutlich überlegen. Dies gilt ganz besonders gegenüber papiergebundenen Akten, die oft als für den Datenschutz nicht relevant dargestellt werden. Diese weisen aber ein viel größeres Risiko einer nicht ordnungsgemäßen Nutzung von Daten auf. Außerdem ist es vielfach schwieriger, diese Daten vor unberechtigtem Zugriff zu schützen, wenn sie beispielsweise in Archiven liegen.

Zulassung eines Kfz mit Hilfe der Bürgercloud

Im digitalen Zwilling des KDV wurde bislang neben der Bürgercloud ein Kfz-Register aufgebaut, das alle Stammdaten des jeweiligen Fahrzeugs enthält. So wie jede Person über eine ID verfügt, tut dies auch ein Fahrzeug, womit es eineindeutig identifizierbar ist. Beantragt eine Person die Zulassung eines Kfz, müssen nur die IDs der jeweiligen Person und des Fahrzeugs miteinander verknüpft werden. Wie die Abbildung zeigt, erfolgt diese Verknüpfung im entsprechenden Prozess. Dessen Ergebnis ist dann der Kfz-Schein, der entweder digital zur Verfügung steht oder ausgedruckt werden kann. Eine Verknüpfung von Person und Fahrzeug kann nur erfolgen, wenn es keine weitere Verknüpfung zwischen dem Fahrzeug und einer anderen Person gibt. Ist die Verbindung zwischen Fahrzeug und Vorbesitzer:in gelöscht, was über die Abmeldung des Fahrzeugs erfolgt, kann eine neue Verbindung hergestellt werden. Im Kfz-Register finden sich dann nur die BürgerIDs der Vorbesitzer:innen. Damit ist gewährleistet, dass nicht einfach ein gestohlenes Fahrzeug auf eine andere Person angemeldet werden kann.

Abbildung 1: Zulassung eines Kfz mit Hilfe der Bürgercloud (Grafik: KDV)

Das Antragsformular zur An- und Abmeldung von Fahrzeugen mit der Anbindung an die Bürgercloud und das Kfz-Register wurden mit einer Low-Code-Plattform realisiert. Solche Low-Code-Plattformen bieten die Möglichkeit, Formulare schnell zu erstellen und mit den relevanten Datenquellen zu verbinden. Das Frontend bildet eine eigene App, über die derartige Anträge erstellt werden können.

Im Laufe des Jahres werden wir das Grundmodell um weitere Register und Geschäftsvorfälle erweitern. Bereits nach den ersten Schritten zeigt sich jedoch, dass Prozesse wesentlich verschlankt werden können, wenn die dahinterliegenden Datenstrukturen klar sind, die Daten also in der geforderten Qualität und Aktualität vorliegen.

Die Registermodernisierung greift zu kurz

Leider hat der Gesetzgeber die Chance vertan, einen großen Wurf bei der Digitalisierung zu tun. Das Registermodernisierungsgesetz beschränkt sich im Wesentlichen auf die Einführung der BürgerID. Richtig wäre es gewesen, zunächst ein Datenmodell zu entwickeln und, ausgehend von der oben erwähnten Bürgercloud, auf dessen Basis die Register zu konsolidieren. Weiter wäre es unabdingbar, Standards für Datenformate und Schnittstellen festzulegen. Auf dieser Basis lassen sich dann Prozesse ganz anders gestalten. Vor allem eröffnet dies die Möglichkeit, über Metaprozesse zu reflektieren und diese als Ausgangspunkt weiterer Überlegungen zu nutzen.

Solche Metaprozesse könnten zum Beispiel sein: Identität prüfen, Antrag stellen, Berechtigung prüfen, Antrag bearbeiten, Bescheid erstellen, Ressourcen buchen, Terminanfragen steuern, usw. Diese abstrakten Überlegungen führen zu der Erkenntnis, dass viele scheinbar unterschiedliche Prozesse im Grunde identisch sind und nur in verschiedenen Kontexten angewendet werden. So ist der Prozess der Antragsstellung an sich für sehr viele Verfahren gleich, lediglich die einzureichenden Unterlagen unterscheiden sich. Dieser Ansatz bietet die Möglichkeit, die Prozesse mit einer identischen Vorgehensweise und auf einer Plattform zu entwickeln, welche den Aufwand der Implementierung sowie die Kosten massiv reduziert. Sollte in der Zukunft ein neues Feature hinzugefügt werden, wird diese Aktualisierung effizienter und schneller stattfinden, weil die Grundstruktur der Metaprozesse gleich ist.

Der digitale Zwilling des KDV soll nun sukzessive um weitere Anwendungen mit den dafür notwendigen Datenbanken erweitert werden. Was soll der Gesamtansatz bewirken? Er strebt eine immense Reduzierung der Zahl der Register an sowie eine erhebliche Effizienzsteigerung, indem Fehler, verursacht durch Qualitätsmängel in den Datenbeständen, minimiert werden. Dies würde auch eine gesteigerte Transparenz für alle Beteiligten und einen besseren Überblick für Bürger:innen über ihre Interaktionen mit dem Staat bedeuten.

Als häufiges Argument gegen eine in der beschriebenen Form umgesetzte Bürgercloud wird das Risiko eines unberechtigten Datenzugriffs angeführt, insbesondere dann, wenn alle Bürgerstammdaten zentral in einer Cloud auf Bundesebene gespeichert werden. Das Konzept einer Bürgercloud ist jedoch nicht zwangsläufig mit einer Zentralisierung verbunden. Die Daten könnten durchaus auch in dezentralen Systemen vorgehalten werden, die auf Kommunal-, Landkreis- oder Landesebene betrieben werden. Damit wäre der Schaden eines Datendiebstahls geringer als bei einer zentralen Lösung. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass aktuell auch sehr kleine Verwaltungseinheiten relevante personenbezogene Daten halten, die aufgrund begrenzter Kapazitäten oft Schwierigkeiten haben, das notwendige Sicherheitsniveau sicherzustellen.

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Veröffentlicht: 28.02.2024