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Leitfaden zur Digitalisierung zivilgesellschaftlicher Organisationen

Leitfaden zur Digitalisierung zivilgesellschaftlicher Organisationen

Gastbeitrag von

Dr. Birthe Tahmaz ist Projektleiterin in der ZiviZ gGmbH.

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/dr-birthe-tahmaz/
Website: https://www.stifterverband.org/ueber_uns/mitarbeiter/tahmaz_birthe

Der digitale Wandel fordert noch immer viele gemeinnützige Organisationen heraus. Spätestens seit Ausbruch der Pandemie im Jahr 2020 ist jedoch klar, dass Digitalisierung auch für die Zivilgesellschaft ein dringliches Thema ist, um weiter handlungsfähig zu bleiben. Die Anzahl von Publikationen im Feld ist beachtlich und unterstreicht, wie wichtig das Thema Digitalisierung auch vor der globalen Krise für die Zivilgesellschaft war. Doch nach wie vor sind die Begriffe »Digitalisierung«, »Digitalisierungsstrategie« und »Digitalstrategie« für viele Organisationen schwer zu greifen und insbesondere von kleinen und rein ehrenamtlichen Organisationen werden sie eher als ein abstraktes Konstrukt wahrgenommen, das keine direkten Berührungspunkte mit ihrem Engagement zu haben scheint. Weiterhin stellt sich die Herausforderung für jede Organisation anders dar – abhängig davon, in welchem Bereich sie tätig ist, wie viele Haupt- und Ehrenamtliche sie hat, in welcher Art und Weise vielleicht schon digitale Anwendungen genutzt werden und wie die technische Infrastruktur ausgebaut ist.

Im Rahmen des Projekts »Die Verantwortlichen #digital«[1] entstanden ein Leitfaden sowie eine Toolbox, die an der Seite ebenjener Organisationen eine begleitende Inspiration und Unterstützung sein sollen, die sich für den Weg ihrer Digitalisierung entschieden haben. Die wichtigsten Elemente des Projekts möchte ich in diesem Blogbeitrag nochmals aufgreifen und erläutern: Digitalisierung (auch) als eine Frage der Organisationskultur, Gestaltungsfelder digitalen Engagements, Digitalstrategie, die wesentlichen Schritte des Digitalisierungsprozesses, sowie ein kleiner Einblick in die Toolbox.

Digitalisierung: (Auch) eine Frage der Organisationskultur

Noch viel zu häufig wird Digitalisierung damit gleichgesetzt, lediglich digitale Technologien in die alltäglichen Tätigkeiten einzuführen. Dieses Verständnis steht bei vielen Organisationen noch immer im Vordergrund ihrer Überlegungen. Ich unterstütze ein erweitertes Digitalisierungsverständnis, das insbesondere die Themen Mindset[2] und Organisationskultur[3] als zentrale Gelingensfaktoren herausstellt. Denn hier kann die Basis gelegt werden, die für erfolgreiche digitale Transformationsprozesse nötig ist und unabhängig von finanziellen Ressourcen gefördert werden kann.

Es ist zentral, eine Offenheit für Veränderungen zu erzeugen und dem Thema mit weniger Angst zu begegnen. Dafür benötigt es eine gelebte Fehlerkultur, in der Scheitern als Chance betrachtet wird, die Dinge neu und anders auszuprobieren, sowie offene Räume für Austausch, in denen Fragen und Unsicherheiten angesprochen werden können: Hemmschwellen abbauen, Erfahrungen in Pilotprojekten sammeln, experimentieren und Berührungspunkte mit Menschen und Organisationen schaffen, die den Weg bereits beschritten haben. Ohne diese (digitale) Organisationskultur und ein entsprechendes Mindset ist es kaum möglich, sich ergebende Chancen und Möglichkeiten wahrzunehmen.

Digitale Gestaltungsfelder

Digitalisierung hat auch im gemeinnützigen Bereich viele Gesichter. So geht es um Fragen des Datenschutzes und digitaler Teilhabe, aber auch um die Organisationskultur oder Themen wie Open Data oder New Work. Die fünf Veränderungsfelder der Digitalisierung (siehe Dufft et al. (2017): Digitalisierung in Non-Profit Organisationen) stellen einen Ansatz dar, die unterschiedlichen Themen zu kategorisieren, und dienen im Leitfaden als Inspirationshilfe, um den Blick für Digitalisierung zu weiten.

Abbildung 1: Die fünf Veränderungsfelder der Digitalisierung nach Dufft et al. (Grafik: Die Verantwortlichen #digital)

Digitalstrategie

Der Begriff Strategie erscheint zunächst sehr abstrakt, meint jedoch nichts anderes, als sich bewusst zu machen, in welche Richtung sich die Organisation verändern und wo der Fokus liegen soll. Im Kontext des Leitfadens wird darüber hinaus eine Digitalstrategie definiert als ein strukturierter Denkprozess, der hilft, Entscheidungen zu treffen und Chancen zu erkennen, die mit digitalen Transformationsprozessen einhergehen. Dieser Prozess ist nicht losgelöst von anderen strategischen Entscheidungen in einer Organisation, sondern bildet einen Teil davon. Der Leitfaden soll in erster Linie für ein ganzheitliches Denken sensibilisieren, damit ein Konzept entwickelt werden kann, mit dessen digitalen Elementen und Prozessen die Gesamtstrategie der Organisation unterstützt werden kann. Eine Leitfrage dafür ist: Inwiefern kann Digitalisierung die Erreichung unserer Organisationsziele unterstützen?

Das »Warum?« finden

Digitalstrategien orientieren sich an den bereits vorhandenen Visionen, Zielen, Strategien und Maßnahmen einer Organisation. Hier stehen Fragen im Mittelpunkt, wie: In welchen Bereichen ergibt ein digitaler Transformationsprozess Sinn und in welchen nicht? Da, wo er Sinn ergibt: Wie können wir ihn umsetzen? Mit welchen digitalen Instrumenten kann unsere Arbeit unterstützt werden? Solange zu diesen Fragen keine Klarheit besteht, ist die Entwicklung einer Digitalstrategie nicht möglich, sondern es werden sich nur die (vermeintlich) benötigten digitalen Werkzeuge beschafft; die Summe von Tools macht noch keine Strategie.[4]

Den Blick weiten

Immer lohnend ist zudem, sich im Handlungsfeld Digitalisierung umzuschauen und den eigenen Blick zu weiten: Welche guten Lösungen gibt es bereits? Wie haben andere Organisationen bestimmte Herausforderungen gelöst? Hier ist die Vernetzung mit anderen Organisationen und der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen stets hilfreich. Denn oftmals braucht das Rad nicht neu erfunden zu werden und negative Erfahrungen können vermieden werden, die bereits andere zuvor machen mussten. Hilfreiche Anlaufstellen und Netzwerke haben wir in einem Serviceteil in Abschnitt 8 des Leitfadens aufgeführt.

Über Wirkung und Zielgruppen nachdenken

Insbesondere in den letzten Jahren ist das Thema »Wirkung« im gemeinnützigen Bereich präsenter geworden. Dieses Thema sollte frühzeitig in strategische Überlegungen einbezogen werden, denn auch Wirkung will geplant sein. Unter Wirkung versteht man die Veränderungen, die mit den eigenen Leistungen bei der Zielgruppe, deren Lebensumfeld oder der Gesellschaft erreicht werden. Dazu zählen Angebote, Maßnahmen oder Produkte. Eine wichtige Grundvoraussetzung für die Wirkungsplanung ist, die Herausforderungen und Bedarfe der Zielgruppe wahrzunehmen und zu verstehen. Ein Dialog mit der Zielgruppe kann auch sichtbar machen, wo blinde Flecken bestehen und strategische Überlegungen entsprechend angepasst werden sollten.

In 5 Schritten durch den (digitalen) Transformationsprozess

Digitale Transformation ist ein Veränderungsprozess einer Organisation, der unterschiedliche Phasen durchläuft: Initialisierung, Konzipierung, Mobilisierung, Umsetzung und Verstetigung. Dabei gibt es kein festgelegtes Ende, sondern es schließen sich neue Folgeprojekte an, die sich aus den umgesetzten Maßnahmen entwickeln. In jedem Prozessschritt formuliert der Leitfaden die zentralen Fragen, die sich eine Organisation stellen sollte und anhand exemplarischer Beispiele werden mögliche Vorgehensweisen aufgezeigt. Eine Checkliste am Ende jedes Prozessschrittes soll helfen, die wichtigsten Schritte im Blick zu behalten.

 

  1. Initialisieren: In der Initialisierungsphase soll in erster Linie der Veränderungsbedarf erfasst und eine Bestandsaufnahme gemacht werden. Vielleicht haben sich ja bewährte Prozesse und Vorgehen aufgrund neuer technischer Möglichkeiten überlebt oder sind nicht mehr effizient genug. Eine besondere Rolle spielen hierbei die Führungskräfte und Leitungsgremien in der Organisation. Denn sie müssen hinter dem Veränderungswillen stehen und die weiteren Mitglieder und Engagierten letztlich hiervon überzeugen.
  2. Konzipieren: In der zweiten Phase, der Konzipierung, wird die Basis für einen erfolgreichen digitalen Transformationsprozess gelegt. Hier sollte nun klar sein, welche Verbesserungen sich in der Organisation durch die Digitalisierung ausgewählter Prozesse oder Maßnahmen ergeben. Sind die Wandlungsziele definiert, wird ein Maßnahmenprogramm mit konkreten Schritten für die einzelnen Ziele erstellt. Ziel der Konzeptionsphase ist ein abgestimmtes Gesamtkonzept, das im weiteren Verlauf umgesetzt werden kann und nicht auf grundsätzliche Widerstände stößt.
  3. Mobilisieren: Nun steht die Kommunikation der beabsichtigten Änderungen an die Engagierten, Mitarbeiter:innen und Mitglieder im Mittelpunkt. Transparenz und gute Kommunikationsstrategien sind an diesem Punkt zentral, damit das neue Konzept als sinnvoll erachtet und akzeptiert wird und alle Beteiligten aktiv und kreativ an der Umsetzung des digitalen Transformationsprozesses mitarbeiten. Allerdings ist es nicht selten, dass Menschen Vorbehalte gegenüber Veränderungen und Wandlungen haben. Im Rahmen der Mobilisierung gilt es, Sorgen und Unsicherheiten aus der Welt zu schaffen.
  4. Umsetzen: Nun gilt es, die Veränderungen, die zuvor geplant wurden, zu realisieren. Spätestens an diesem Punkt sollte den einzelnen Zielen und Maßnahmen eine Priorität zugeordnet sein, die Schritt für Schritt umgesetzt und auf ihre Zielerreichung überprüft werden. Ist das nicht der Fall, gilt es, die Maßnahmen anzupassen oder durch andere zu ersetzen. War zum Zeitpunkt der Konzipierung nur ein ausgewählter Kreis beteiligt, so betrifft die Umsetzung je nach Vorhaben meist einen größeren Personenkreis. Entsprechend hoch ist die Bedeutung der Umsetzungsphase für den Erfolg des Transformationsprozesses.
  5. Verstetigen: In der letzten Phase geht es darum, die herbeigeführten Veränderungen erfolgreich zu festigen und die neuen Instrumente zu einem festen Bestandteil der Arbeitsprozesse werden zu lassen. Verstetigung darf jedoch nicht als »Endzustand« verstanden werden, sondern impliziert vielmehr eine kontinuierliche Weiterentwicklung, die als Grundvoraussetzung einer festen Verankerung von (digitalem) Wandel auf der Agenda der Organisation bedarf.

 

Abbildung 2: Die einzelnen Schritte des (digitalen) Transformationsprozesses (Grafik: Die Verantwortlichen #digital)

Die Toolbox – 18 Instrumente für 5+1 Phasen

Zur Unterstützung des Digitalprozesses wurde auf den Leitfaden aufbauend eine Toolbox entwickelt, die entlang der fünf wesentlichen Phasen helfen soll, Prozesse in der jeweiligen Organisation zu planen, zu beginnen und zu etablieren. In jeder Phase finden sich drei Instrumente, die Team-, Prozess- oder Organisationsziele fokussieren. Hinzu kommen drei Tools, die übergreifend Hilfestellungen bieten und losgelöst von den jeweiligen Phasen Unterstützung bieten können.

Anleitungen und Instrumente suggerieren häufig eine Garantie zum Erfolg, wenn sie nur richtig angewandt werden. Die Wirklichkeit lehrt uns stetig, dass dies nicht der Fall ist. Passender ist der Leitsatz: »Alle Modelle sind falsch, aber einige sind nützlich«. Die Instrumente sollen daher vor allem eines sein: Inspiration. Jede Organisation ist einzigartig und nicht jedes Tool wird passen. Daher gilt: Offenheit führt zu neuen Erkenntnissen. Die Instrumente der Box sind in sich weder perfekt noch geben sie eine Erfolgsgarantie. Jedoch sind sie eine wichtige Orientierungs- und Handlungshilfe, die sich auf Basis bisheriger Erfahrungen aus der Praxis entwickelt haben. Dabei ist dieser Entwicklungsprozess nicht abgeschlossen und profitiert auch von den Erfahrungen aus der Praxis.

Leitfaden »Den digitalen Wandel in zivilgesellschaftlichen Organisationen aktiv gestalten«

Der Leitfaden kann an dieser Stelle, ebenso wie die Toolbox mit den bereitgestellten Materialien, kostenlos eingesehen werden.

Weiterführendes von ÖFIT:

Ländlich, digital, attraktiv – Digitale Lösungsansätze für ländliche Räume
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Ländliche Räume stehen vor vielfältigen Herausforderungen, sei es bei der medizinischen Versorgung oder Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Gleichzeitig gibt es überall in Deutschland innovative Projekte, die digitale Lösungsansätze verfolgen, um die Daseinsvorsorge und Lebensqualität vor Ort zu verbessern.

Basanta Thapa, Nicole Opiela, Michel Stephan Rothe (2020)

Berlin: Fraunhofer FOKUS: Kompetenzzentrum Öffentliche IT

Zur Publikation »Ländlich, digital, attraktiv – Digitale Lösungsansätze für ländliche Räume«
Digitalisierungsprojekte in der Praxis
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Digitalisierung erscheint oft als eine externe Kraft, die sich über unsere Gesellschaft legt: Kaum ein Lebensbereich bleibt unangetastet. Das ÖFIT-Paper ist eine kleine Hinterbühnenführung durch die Realität von Digitalisierungsprojekten in und zwischen Organisationen. Von Formalitäten bis zur User Experience.

Dr. Stefanie Büchner, Stefanie Hecht, Holger Kurrek (2018)

Berlin: Fraunhofer FOKUS: Kompetenzzentrum Öffentliche IT

Zur Publikation »Digitalisierungsprojekte in der Praxis«
Digitales bürgerschaftliches Engagement
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In einer digitalen Gesellschaft findet zivilgesellschaftliches Engagement immer häufiger auch digital statt. Dieses White Paper beleuchtet die Bedeutung der Digitalisierung für bürgerschaftliches Engagement.

Ulrike Hinz, Nora Wegener, Dr. Mike Weber, Jens Fromm (2014)

Berlin: Fraunhofer FOKUS: Kompetenzzentrum Öffentliche IT

Zur Publikation »Digitales bürgerschaftliches Engagement«

[1] Das Projekt wurde gefördert vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat sowie der Robert Bosch Stiftung und geleitet von der Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland. Es unterstützt zivilgesellschaftliche Akteur:innen dabei, Chancen und Potenziale der Digitalisierung im Hinblick sowohl auf die strategische Entwicklung ihrer Organisationen als auch auf die operative Arbeit zu erschließen. Die vorliegenden Inhalte basieren auf den gesammelten Erkenntnissen von 14 teilnehmenden Organisationen, die neun Monate lang wissenschaftlich begleitet wurden, sowie auf Expert:inneninterviews mit den im Programm eingebundenen Berater:innen.

[2] Der Begriff Mindset steht für die Denk- und Verhaltensweisen, die innerhalb einer Organisation vorherrschen.

[3] Mit Organisationskultur meinen wir wiederum ein »System gemeinsam geteilter Muster des Denkens, Fühlens und Handelns sowie der sie vermittelnden Normen, Werte und Symbole innerhalb einer Organisation.«

[4] Das Konzept des „Goldenen Kreises“ (siehe Simon Sinek (2014): Frag immer erst: Warum) ist eine gute Hilfe, um diese Fragen strukturiert zu klären. Näheres im Leitfaden ab Seite 14.


Veröffentlicht: 28.06.2022