Asset-Herausgeber

Modellieren statt programmieren: Low Code und die digitalisierte Körperschaftssteuer

mgm technology partners GmbH

Modellieren statt programmieren: Low Code und die digitalisierte Körperschaftssteuer

von

Dr. Sebastian Lorenz arbeitet als IT-Spezialist bei der mgm technology partners GmbH, die gemeinsam mit dem Bayerischen Landesamt für Steuern seit 2008 den modellgetriebenen Low Code Ansatz von ELSTER entwickelt hat. Darüber hinaus unterstützt er als Gründer von Textarbyte Unternehmen bei der Kommunikation IT-bezogener Themen.

Editor’s Note: Wie kann zukünftig sichergestellt werden, dass Gesetze mit einem digitalen bzw. (teil)automatisierten Verwaltungsvollzugsprozess kompatibel sind? Hierfür muss der Hebel bereits bei der Entwurfsphase von Gesetzen und Verordnungen angesetzt werden. So lautete eine Kernaussage unseres Impulspapiers »Recht Digital«, in dem wir einige der Voraussetzungen dargestellt haben, die für automationstaugliche Rechtsnormen berücksichtigt werden sollten. Anknüpfend an dieses Papier möchten wir in einer Blogreihe das Themenfeld »Digitales Recht« explorativ in verschiedene Richtung weiter beleuchten.
Der erste Beitrag der Blogreihe ist »Entlasten, nicht entmachten: Was der Gesetzgeber heute tun kann, um die Automatisierung der Öffentlichen Verwaltung zu unterstützen«.

 

Software anpassen ohne Programmierung? Genau das verspricht das Entwicklungskonzept Low Code. Wie das in der Praxis funktionieren kann, zeigt die Digitalisierung der Körperschaftssteuer. Mithilfe spezieller Modellierungswerkzeuge von ELSTER setzen Fachexperten der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main Jahr für Jahr eigenständig steuerliche Gesetzesänderungen in Software um. Die etablierten Prozesse dahinter zeigen, wie behördliche Software langfristig weiterentwickelt werden kann. Sie legen aber auch Herausforderungen der Digitalisierung von Gesetzen offen.

Wenn es um die Anwendung neuer technischer Entwicklungen geht, gilt der öffentliche Sektor selten als »Early Adopter« und Innovationstreiber. Dass dieser Eindruck manchmal trügt, zeigt die Verwendung einer Low Code-Plattform im Rahmen der Elektronischen Steuererklärung (ELSTER): Dort ist der moderne Softwareentwicklungsansatz – wenn auch ursprünglich unter anderem Namen – bereits seit 2008 produktiv im Einsatz

Das Marktforschungsunternehmen Forrester etablierte den Begriff »Low Code« im Jahr 2014. Die Idee hinter Low Code ist simpel: Fachexperten sollen mithilfe möglichst einfach zu bedienender Werkzeuge in der Lage sein, Teile von Software selbst zu gestalten – ohne klassische Programmierung. Mithilfe der Werkzeuge lassen sich bestimmte Aspekte der Anwendung, wie die Gestaltung der Oberfläche oder die dahinterliegende Geschäftslogik, modellieren. Spezielle Generatoren und Interpreter überführen diese in den Werkzeugen erstellten Modelle dann in Programmcode und lauffähige Software.

Abbildung 1: Die klassische Entwicklungssituation, bezogen auf eine eingehende Gesetzesänderung. Fachspezialisten erstellen eine Spezifikation, die von Softwareentwicklern umgesetzt wird.

Es entfällt also der Schritt, dass die Fachexperten ihre Änderungswünsche an Entwickler weiterreichen, die die Neuerungen dann ausprogrammieren. De facto muss weniger Code von Hand geschrieben werden. Genau dieses Prinzip ist mit »Low Code« gemeint. Und genau dieses Prinzip ist eben mit den Werkzeugen von ELSTER, die das Bayerische Landesamt für Steuern bereitstellt, in der Steuerverwaltung seit Jahren in Gebrauch. Mittlerweile sind über 18 Millionen Zeilen Code der Umgebung »Mein ELSTER« generiert.

Abbildung 2: Die Entwicklungssituation mit einem Low-Code-Ansatz. Fachliche Aspekte werden auf Basis von Modellen generiert, eine individuelle Ausprogrammierung entfällt.

Fachexperten statt Techniker

Zu den Anwendern der ELSTER Werkzeuge gehört unter anderem der Finanzbeamte Björn Claudy aus der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main. Zusammen mit einem sechsköpfigen Team (Team Fachautomation) verantwortet er die elektronische Körperschaftsteuererklärung in ELSTER und das dazugehörige Backendsystem (Steuerberechnung und Bescheiderstellung).

»Das Steuerverfahren ist ein Massenverfahren, das administrativ beherrschbar sein muss«, sagt Björn Claudy. »Schon seit den 1970er Jahren war klar: Nur mit Bleistift und Papier wird das nichts. Die Steuerverwaltung war eine der ersten, die massiv auf Computer gesetzt hat.« Das ist sicherlich ein Grund dafür, dass auch Low-Code-Ansätze bzw. modellgetriebene Softwareentwicklung in der Steuerverwaltung schon vergleichsweise früh genutzt wurden und heute nicht mehr wegzudenken sind.

»Früher war man der Ansicht, dass bestimmte Digitalisierungsschritte nur von Technikern machbar sind. Dass man es dem Fachmann nicht zumuten kann, zum Beispiel den Typ eines Feldes festzulegen«, fährt Claudy fort. »Heute wissen wir, dass das nicht stimmt. Wenn es die richtigen Werkzeuge gibt, kann man es lernen – auch ohne IT-Background.«

Der Bereich »Fachautomation« mag technisch klingen. Er ist jedoch nicht mit Informatikern besetzt, sondern ausschließlich mit Steuerexperten. Digitalisierung wird von der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main zuallererst als fachliche Aufgabe verstanden. Sehr gute Steuerkenntnisse sind unabdingbar. Neue Werkzeuge, die gerade dem Fachbereich größere Freiheiten bei der Anpassung der Software einräumen, passen sehr gut zu diesem Verständnis.

Ableitung von Feldern

Mittlerweile enthält der Low-Code-Ansatz von ELSTER eine ganze Reihe von Modellierungswerkzeugen, die an unterschiedlichen Stellen der Prozesskette zum Einsatz kommen. Der neueste Spross des Werkzeugkoffers ist für die digitale Bearbeitung von Vordrucken ausgelegt. Hier beginnt auch die eigentliche Umsetzung eines Gesetzes in behördliche Software. In der Vordruckkommission des Bundesministeriums der Finanzen kommen Steuerexperten aus den Fachreferaten mehrmals im Jahr zusammen, um zu diskutieren, wie sich gesetzliche Neuerungen, aber auch aktuelle Rechtsprechung administrativ umsetzen lassen. Es geht um die Frage, welche Informationen im Rahmen der Steuererklärung erhoben werden – und mittlerweile auch darum, wie sich das digital abbilden lässt.

Auch das Team von Björn Claudy ist in der Vordruckkommission vertreten. »Früher haben wir PDF-Dokumente bearbeitet. Im Nachgang mussten wir dann darauf aufbauend die Felder im Detail festlegen«, erinnert er sich. »Heute klären wir auch die Detailebene direkt in der Gruppe gestützt durch das ELSTER-Tool.« Die Prioritäten dabei sind klar: »Wenn der Vordruck ausgedruckt nicht schön aussieht, ist das nicht so tragisch. Wichtig ist, dass die elektronische Steuererklärung gut strukturiert ist. Dazu muss man wissen: Bei der Körperschaftsteuer gibt es eine elektronische Abgabeverpflichtung. Fast alle Fälle kommen elektronisch rein. Der Papiervordruck wird nur noch in Härtefällen verwendet. Früher haben wir viel Zeit in die Optik des Papiervordrucks gesteckt. Heute investieren wir die Zeit in den elektronischen Datensatz«.

Die Herausforderungen bei der Erstellung des Formulars sind vielfältig. Einerseits sind rechtliche Vorgaben zu berücksichtigen. Andererseits muss abgewogen werden, welche steuerfachlichen Sachverhalte wie tief geprüft werden sollen. Das Ergebnis dieser Diskussion findet sich letztendlich in dem Steuerformular wieder und bestimmt, welche Zeilen mit welchen Formulierungen in das Formular kommen. Genau dieser Prozess ist aktuell der erste Schritt der digitalen Umsetzung eines Steuergesetzes: Aus dem Gesetz werden zunächst einmal Felder abgeleitet.

Regelsprache für fachliche Zusammenhänge

Der zweite Schritt zur Digitalisierung einer Gesetzesänderung der Körperschaftsteuer erfolgt im Nachgang zur Vordruckkommissionssitzung. Das Team des Bereichs Fachautomation definiert Plausibilitätsregeln mit einem dafür vorgesehenen Editor. Dieser Editor und die dahinterliegende Regelsprache gehören zum Urgestein des modellgetriebenen Ansatzes von ELSTER und wurden seit 2008 sukzessive weiterentwickelt.

Zu den Plausibilitätsregeln gehören sowohl Rechenregeln als auch Validierungsregeln, die fachliche Zusammenhänge erfassen – auch über Felder und Formularseiten hinweg. Derzeit sind allein für die Körperschaftsteuer um die 2.600 Regeln definiert. Das Titelbild dieses Beitrages lässt erahnen, wie komplex die fachlichen Zusammenhänge ausfallen können und wie umfangreich die mithilfe der Low-Code-Werkzeuge gepflegten Modelle werden. Das Bild zeigt die verschiedenen Felder der elektronischen Körperschaftsteuererklärung und sämtliche Verknüpfungen, die sich durch die fachlichen Regeln, Beschränkungen und Abgleiche ergeben.

Abbildung 3: Beispiel für eine einfache Validierungsregel. Die Regel beschriebt den Fehlerfall. Sie besagt hier, dass mindestens eines der beiden Felder angegeben sein muss. Neben solchen einfachen Eingabeprüfungen unterstützt die Sprache auch komplexe Validierungen in verschachtelten Strukturen sowie Berechnungen.

»Die Regelsprache erfordert eine Einarbeitung, aber auch das geht ohne IT-Vorkenntnisse«, sagt Björn Claudy. »Wenn wir heute eine Regel überarbeiten, schreiben wir direkt den Regeltext auf, keine losgelöste Spezifikation. Nach der Eingabe kann ich mir ein neues Generat ziehen und es testen.« Automatische Abgleiche unterstützen die Steuerexperten dabei, Fehler oder Widersprüche in den Regeln zu identifizieren.

Die fachliche Plausibilisierung ist so wichtig, weil sie die Grundvoraussetzung für jede weitergehende automatisierte Verarbeitung ist. Wenn die eingehenden Daten fehlerhaft sind, dann bricht auch die weitergehende Berechnung eines Bescheides im Backend ab. Hier sorgt der Low-Code -Ansatz von ELSTER nicht nur dafür, dass die komplexen fachlichen Modelle handhabbar bleiben. Er bringt vor allem auch eine höhere Geschwindigkeit in die Umsetzung der Gesetzesänderung.

Administration bei Gesetzgebung mitdenken

So eingespielt die jährliche Anpassung der behördlichen Software für die Körperschaftsteuer mittlerweile auch abläuft, eine Bruchstelle blieb bislang unangetastet. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ist manchmal nicht klar, welche Auswirkungen sich durch Änderungen auf technische Verfahren ergeben. Die Administration spielt hier de facto keine Rolle. So treten bei der Umsetzung des Gesetzes in das Formular oft Widersprüche und Ungenauigkeiten auf, die im Gesetzgebungsverfahren noch hätten korrigiert werden können.

»Ein erster Lösungsansatz könnte darin bestehen, die Administration schon bei der Gesetzgebung mitzudenken und einzubeziehen«, schlägt Björn Claudy vor. Wie Gesetzgebung und digitaler Vollzug näher ineinandergreifen können, das sei eine komplexe und spannende Frage, die für die Zukunft der Digitalisierung näher ausgelotet werden sollte.

Fazit

Warum die Digitalisierung gerade in der Steuerverwaltung so weit fortgeschritten ist, mag mehrere Gründe haben. Da ist die hohe Affinität zu Zahlen und Berechnungen. Da ist die Notwendigkeit der Abarbeitung eines Massenverfahrens. Und da sind die seit Jahren weiterentwickelten Werkzeuge, die Fachexperten ein ganz neues Level an Mitsprache ermöglichen, wenn es um die Anpassung von Software geht.

Die fortgeschrittene technische Umsetzung ist aber nicht der einzige Grund, warum die jährliche Anpassung der digitalisierten Körperschaftssteuer so gut funktioniert. »Wir haben hier über die Jahre mit allen Beteiligten übergreifend einen gemeinsamen Spirit entwickelt – sei es im Kontext von ELSTER, des Backends oder im Rahmen der Vordruckkommission. Wir wollen das gut machen für die Finanzbeamten. Wir wollen es gut machen für die Steuerpflichtigen«, resümiert Claudy. »Und vor allem wollen wir es digital machen, da es uns allen das Leben erleichtert.«


Veröffentlicht: 09.11.2020