Pandemiemüdigkeit – ein notwendiger Impuls für den öffentlichen Wandel?
Pandemiemüdigkeit – ein notwendiger Impuls für den öffentlichen Wandel?
Gastbeitrag von Caroline Paulick-Thiel , Jose Diaz Mendoza und Henning Wilmes
Caroline Paulick-Thiel ist strategische Designerin und Expertin für verantwortungsvolle Innovation. Ausgebildet in Design (BA) und Public Policy (MPP), ist sie erfahren in der Entwicklung und Leitung von partizipativen Prozessen zur Bearbeitung öffentlicher Herausforderungen. Seit 2015 leitet sie Politics for Tomorrow, eine parteiunabhängige Initiative, die menschenzentrierte Gestaltungsansätze in öffentlichen Innovationen fördert und mit politisch-administrativen Institutionen von der lokalen bis zur höchsten Bundesebene in Deutschland zusammenarbeitet. Für das Creative Bureaucracy Festival initiierte sie die Academy - einen Raum für angewandtes Lernen.
Jose Diaz Mendoza ist spezialisiert auf Innovation und Service Delivery im öffentlichen Sektor. Ausgebildet in Betriebswirtschaft und in Public Policy (MPP) bei der Hertie School, ist er seit 2020 bei Politics for Tomorrow an den Themen Innovationsmessung, Wissensmanagement und Projektdesign - insbesondere dem InnoKompass beschäftigt. Derzeit erforscht er das Zusammenspiel von Künstlicher Intelligenz (AI) und Service Design für den öffentlichen Sektor (AI4Gov) und ist Co-Host des Podcasts »Futuro Publico«, um das Wissen über öffentliche Innovation in Lateinamerika (und Peru), wo er herkommt, zu verbreiten.
Henning Wilmes war Praktikant am Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) am Fraunhofer FOKUS. Er studiert an der Universität Potsdam Politik, Verwaltung und Organisation im Bachelor. Sein Schwerpunkt im Studium ist die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung.
Die Ergebnisse des Innovationskompasses 2021 spiegeln die Überanstrengung der Mitarbeiter:innen, gefolgt von einem dringenden Aufruf zu einem Wandel und einem grundlegenden Umdenken in öffentlichen Organisationen im Hinblick auf Vielfalt und Wohlbefinden wider.
Der Innovationskompass (#InnoKompass) ist eine statistische, evidenzbasierte und selbstreflexive Umfrage in deutscher Sprache, die sich an Entscheidungsträger:innen und Beamte aus dem öffentlichen Sektor in der DACH-Region richtet[1]. Die Umfrage findet seit 2020 jährlich statt und lädt Bedienstete im öffentlichen Dienst [2] dazu ein, über die Faktoren nachzudenken, die den organisatorischen Wandel und die Innovationskapazitäten in den öffentlichen Einrichtungen vorantreiben oder behindern. Über die vier Hauptkategorien WAS?, WAS DANN?, WAS JETZT? und WAS WENN? hinweg, werden die Befragten von einem machbarkeitsbasierten Standpunkt aus zu einer phantasievollen und zukunftsorientierten Handlungsperspektive angeleitet. Bislang wurden mit dem Instrument die Meinungen und Überlegungen von mehr als 500 öffentlichen Bediensteten erfasst[3].
Die Kernergebnisse lassen sich so zusammenfassen: Die öffentlichen Einrichtungen und ihre Teams sind seit Beginn der Pandemie noch nicht aus dem Denken der vertikalen Task Force herausgekommen und es fehlt ihnen weiterhin an ganzheitlichen Ansätzen für das Krisenmanagement. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse große Erwartungen an strukturelle Veränderungen, die sich vor allem durch zukunftsorientierte und antizipatorische Fähigkeiten, neue Formen der Führung und Teambildung sowie einem umfassenderen Verständnis von Vielfalt und Wohlbefinden ausdrücken.
In diesem Blogpost werden die Ergebnisse der einzelnen Kategorien vorgestellt, interpretiert und darauf basierende Handlungsempfehlungen entwickelt. Erstens gehen wir auf übergeordnete Erkenntnisse aus der Analyse ein. Zweitens werden wir uns mit den spezifischen Aspekten befassen, welche die Bediensteten im öffentlichen Dienst in Zukunft fortgesetzt, verbessert, abgeschafft und (neu) erfunden sehen wollen. Drittens werden wir uns in der Gegenwart verorten und spezifische Bereiche hervorheben, die für die Umgestaltung des öffentlichen Sektors von Interesse sind, um uns schließlich mit umsetzbaren Hebeln zu befassen. Wir verstehen die Analyse, die wir gezielt mit unserer Interpretation der Daten anreichern, als Einladung, sich mit uns über jeden dieser Abschnitte in die Reflexion zu begeben – genauso wie es das Ziel des InnoKompasses insgesamt ist.
WAS: Von Einsichten hin zu Themen
Die Ergebnisse für das Jahr 2021 zeigen mehr menschen- und organisationsbezogene Aspekte, insbesondere in Bezug auf das Wohlbefinden und die institutionelle Anpassung. Dies zeigt sich bei der Zuordnung von Wörtern aus den Beiträgen der Befragten zu den drei Analysedimensionen Mensch, Organisation und Rahmenbedingungen, die bereits bei der Auswertung der Ergebnisse von 2020 ermittelt wurden. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse.
Beiträge mit Wörtern, die sich auf die menschliche Dimension[4] beziehen (rote Spalte), machen rund 15% des Inhalts der gültigen Antworten im Jahr 2021 aus, während Wörter, die sich auf die organisatorische Dimension[5] beziehen, gut 12% der Nennungen ausmachen. Die Beiträge in der ersten Dimension konzentrieren sich auf Aspekte der Zusammenarbeit, des Vertrauens, der gegenseitigen Unterstützung, des Verständnisses, der Interaktion, der Frustration und Motivation, des Wohlbefindens und der (persönlichen) Unterschiede. In der zweiten Dimension werden Aspekte wie Homeoffice, Führung, digitale Kenntnisse/Fähigkeiten, Transparenz, Kommunikation, interne Bürokratie mit Regeln und Vorschriften sowie Teambildung genannt.
Diese Einstiegspunkte sind nützlich, um einige erste Einblicke in die Meinungs- und Interessenlandschaft der Befragten zu gewinnen. Aus den Beiträgen lässt sich ableiten, dass viele Befragte es für notwendig halten, ganzheitlichere politische Maßnahmen zu ergreifen, um ein förderliches und transformatives Umfeld zu schaffen. Insbesondere reichen die derzeitigen organisatorischen Rahmenbedingungen nicht mehr aus, um das Wohlergehen der Bürger:innen zu fördern und die öffentlichen Bediensteten mit vorausschauenden und zukunftsorientierten Fähigkeiten auszustatten. Was dringend benötigt wird, sind Strategien und politische Maßnahmen, die eine gemeinsame Gestaltung und Zusammenarbeit über die verschiedenen organisatorischen Ebenen und Hierarchien hinweg ermöglichen, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Dies ist letztlich ein Aufruf, sich mehr auf die Arbeit von unten nach oben und auf die Bildung von kollaborativen und vernetzten Teams zu konzentrieren, um auf neue Visionen und Aufgaben hinzuarbeiten, anstatt Probleme selektiv und dadurch mit eingeschränkten Lösungsmöglichkeiten anzugehen.
Bei der Betrachtung der verschiedenen Gruppen von Befragten und ihrer Ergebnisse in Bezug auf ihre Organisation zeichnen sich drei Hauptthemen ab, die sich auf die in Abbildung 2 dargestellten Analysen stützen:
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Frauen in multidimensionalen Arbeitsumgebungen.
60% der befragten Frauen sind der Meinung, dass die öffentlichen Einrichtungen nicht auf ihre Bedürfnisse und Lebensrealitäten eingehen, wenn es um das Zusammenspiel von Lebensstil, Familiensituation und Arbeit geht. Nur 20% von ihnen glauben, dass ihre Organisationen sinnvolle Möglichkeiten zur Bewältigung des Alltags bieten. Die Ergebnisse zeigen, dass es notwendig ist, sich mit den Problemen von Frauen auseinanderzusetzen, die sich aus der Arbeit im Homeoffice ergeben (z.B. längere und unregelmäßige Arbeitszeiten, körperliche und geistige Belastung) und mit den traditionellen Strukturen in der Organisation zusammenhängen (z.B. männlich geprägte Führung und Entscheidungsfindung, Unterdrückung ihrer Arbeit und Meinung, begrenztes Einfühlvermögen in Lebensrealität).
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Überholte Führungsmethoden vor zukünftigen Herausforderungen.
Öffentlich Bedienstete, die keine Führungsposition innehaben, aber an der Spitze von Prozessen und Dienstleistungen stehen, stellten höhere Anforderungen an die Führung in ihren Organisationen. Nicht nur die Befragten bewerteten die Leistung ihrer Organisationen, mit Werten zwischen 0,89 und 1,08 von maximal fünf, am schlechtesten. Sie sind der Meinung, dass der Entscheidungsfindungsprozess der Führungskräfte, ihre traditionelle Denkweise und der begrenzte Raum für Zusammenarbeit und Teambildung die Entwicklung neuer Strategien zur Ermöglichung organisatorischer Umgestaltungen einschränken. Darüber hinaus wird das Fehlen eines systemischen Ansatzes in Bereichen wie Innovation, Digitalisierung und Krisenmanagement hervorgehoben.
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Digitale Kluft zwischen den Generationen - von Wissen bis Zugang.
Führungskräfte und neue Mitarbeiter:innen der öffentlichen Verwaltung fühlen sich gleichermaßen wenig motiviert (50%) und frustriert (23%). Während die älteren Personen weniger an großen Veränderungen interessiert sind, erkennen sie die Bedeutung von mehr und besserer Ausbildung an, um die digitale Kompetenzlücke zu schließen. Im Gegenzug halten es die jüngeren Kolleg:innen für wichtig, digitale Silos aufzubrechen und somit die in ihren Organisationen bestehenden Integrations- und Kollaborationskanäle zu überdenken. Mehr (quantitativ) und bessere (qualitativ) Aus- und Fortbildung ist erforderlich, um diese Lücken in Übereinstimmung mit den spezifischen Merkmalen und Umständen der Beamt:innen zu schließen.
WAS DANN: Bereiche, die in der Organisation weitergeführt, verbessert, beendet und (neu) erfunden werden müssen
Eine Frage des InnoKompasses ist, »was in den öffentlichen Organisationen beibehalten, verbessert, beendet und neu erfunden werden sollte«. Die Beantwortung dieser Frage erfolgte in zwei Schritten: Zuerst teilten die Befragten ihre Meinung in Bezug auf jede der vier Kategorien mit, danach ordneten sie diese nach dem Grad ihrer wahrgenommenen Relevanz, wobei eins (erste Wahl) sehr relevant und vier (vierte Wahl) nicht so relevant ist.
Die Antworten zeigen insgesamt eine hohe Wertschätzung für viele Dinge, die derzeit im öffentlichen Sektor vorhanden sind, was in etwa einem Drittel der Antworten zum Ausdruck kommt. Diese beziehen sich vor allem auf Zusammenarbeit, Homeoffice, Digitalisierung und Kommunikation und werden als entscheidend für die Gestaltung und Transformation der Institutionen des öffentlichen Sektors angesehen. Einige Dinge sollten jedoch beendet werden, zumal sie nach wie vor Hindernisse auf dem Weg zu einem systemischen Veränderungsansatz sowie ernsthaften Bottom-up-Transformationen darstellen. Sie zielen auf die (traditionelle) Bürokratie und Top-down-Governance und organisatorische Aspekte ab.
Aus den in Abbildung 3 dargestellten Ergebnissen lässt sich zusammenfassend ableiten:
- Was (beibehalten und) fortgeführt werden soll: Teamarbeit, Zusammenarbeit, Homeoffice, Ausstattung
- Was zu verbessern ist: Homeoffice, Digitalisierung, digitale Plattformen und Tools, technische Arbeit
- Was abgeschafft werden soll: Bürokratie, Misstrauen, Besprechungen, Präsenz, büroähnliche Meetings und Verhaltensweisen
- Was (neu) erfunden werden muss: digitale Kommunikation, Homeoffice, Misstrauen, digitale Plattformen und Tools
Aus den obigen Ergebnissen lässt sich als erstes ableiten, dass bei den öffentlichen Bediensteten ein Gefühl der Bereitschaft für Experimente und Veränderungen besteht. Dies ist eine klare Chance und ein dringender Aufruf zum Handeln für die Führung auf jeder Ebene der Verwaltung:
- Digitale Teamarbeit und das Homeoffice verbessern: mehr Agilität, Überbrückung digitaler Silos, Einführung einer neuen Koordinationsdynamik, Einbindung gemischter Tools für Digital Natives und Non-Natives, Aufbau von digitalem Vertrauen
- Vereinfachung interner und externer Prozesse durch: Überdenken der Ansätze von Home-Office und Inhouse-Office, Abkehr von der kontinuierlichen 8-Stunden-Arbeitsschicht, Einsatz von Tools, die die Bottom-up-Beteiligung und Entscheidungsfindung verbessern oder ausbauen, Entwicklung neuer Personalbewertungen und -indikatoren
Eine zweite Kernaussage ist, dass bei der Übertragung von Arbeitsroutinen in die digitale Welt die Konzepte der Zusammenarbeit und der Prozessorientierung weiter angepasst werden sollten. Es ist notwendig, neue digitale Werkzeuge und Fähigkeiten zu entwickeln, die sowohl den Bedürfnissen der Beschäftigten, als auch denen der Bürger:innen entsprechen. Dies muss mit erheblichen Anpassungen und Innovationen bei den Prozessen, Vorschriften und den bestehenden digitalen und technologischen Einrichtungen einhergehen. Nur wenn sich die Qualität der Fernarbeit verbessert, idealerweise unter Einbeziehung aller Beteiligten, wird sich dieser neue Rahmen auf breiterer Ebene positiv auf das tägliche Leben der öffentlich Bediensteten, ihr unmittelbares Umfeld und ihre Kund:innen auswirken.
Es ist wichtig, die Dringlichkeit und das Tempo des Wandels auch auf andere Bereiche zu übertragen. Die dritte Hauptaussage bezieht sich daher auf den Zeitplan und die Geschwindigkeit der Umsetzung von Maßnahmen zur Bewältigung systemischer und künftiger organisatorischer Entwicklungen. Die Befragten sind der Meinung, dass die derzeitigen Maßnahmen weder der Dringlichkeit der Ereignisse entsprechen, noch dass die Konzentration auf akute Probleme zu dramatischen Veränderungen führen wird. Veränderungen im Zusammenhang mit der (Neu )Organisation öffentlicher Einrichtungen, die sich mit der digitalen, antizipatorischen und verhaltensbezogenen Qualifikationslücke befassen, die für eine bessere Politik und Politikgestaltung unerlässlich ist, müssen parallel zur (Neu )Konzeption zukunftsorientierter und menschenzentrierter öffentlicher Einrichtungen erfolgen.
WAS JETZT: Aktivierung des Wandels und schnelle Umsätze
Da die Grenze zwischen persönlichem Raum und Arbeit zunehmend verschwimmt, sind neue Modelle des Personalmanagements und der Arbeitsgestaltung notwendig. Der Schwerpunkt muss auf der Beseitigung offensichtlicher und nicht so offensichtlicher Ungleichheiten liegen, die sich auf die Mitarbeiter:innen der öffentlichen Verwaltung auswirken. Beispielsweise die Auswirkungen des Homeoffices auf die Entwicklung von Vertrauen und Empathie in Teams oder die Auswirkungen der Abgeschiedenheit auf kollektive Entscheidungsprozesse.
Die Zukunft der Arbeit in öffentlichen Organisationen muss über sich wiederholende und schwerfällige institutionelle Reformen hinausgehen. Ein kultureller Wandel steht bevor und erfordert aufrichtige Bemühungen, um die Entwicklung von Organisationskulturen voranzubringen, deren Dynamik auch die Politikgestaltung beeinflusst. Dies verhindert auch, dass der öffentliche Sektor mit überholten Maßnahmen und Konzepten weitermacht und nutzt die neuen Erfahrungen aus der Krise, um institutionelles Lernen zu fördern. Die Ergebnisse des InnoKompasses weisen darauf hin, dass die Beschäftigten das beste Frühwarnsystem sind, weil sie unabhängig vom aktuellen politischen Umfeld Fehler erkennen und (viele) Ideen für Veränderungen haben. Wir sind aber auch der Meinung, dass traditionelle Führungsmethoden nicht ausreichen, um Teams und Menschen in die Zukunft zu führen.
Der InnoKompass stellt außerdem eine wachsende Frustration unter den öffentlichen Bediensteten fest, die sich nicht ernst genommen fühlen und glauben, dass es immer weniger Raum für ihre Vorschläge gibt. Im Jahr 2022 muss daher ein weiterer Schwerpunkt darauf liegen, kontextbezogene Formen der Koordinierung und Teambildung mit Hilfe digitaler Werkzeuge, die die vielfältigen Möglichkeiten der persönlichen und gruppenbezogenen Interaktion abbilden, zu überdenken und einzubeziehen. Parallel dazu ist es von grundlegender Bedeutung, über eine Abkehr von traditionellen Public-Value-Konzepten nachzudenken, um tatsächlich mit der Schaffung neuer und menschlicherer Teams, menschlicher Führungspersönlichkeiten und dabei gemeinwohlorientierter öffentlicher Organisationen zu beginnen.
Öffentliche Einrichtungen haben nur selten die Möglichkeit, mit der Entwicklung von öffentlichen Innovationsmodellen und -strategien zu experimentieren, um das Potenzial der Menschen freizusetzen. Genau dieses Potenzial muss jedoch gefördert und somit in die Organisation integriert werden. Dazu ist es notwendig, sich mit den Fähigkeiten zur Teambildung zu befassen, aber noch wichtiger ist es, neue Wege für kollektives und systemisches Denken auf mehreren Ebenen zu finden. Neue Formen von Gruppencoaching und Peer-Counseling wären in diesem Zusammenhang spannend, und eine Priorität in diese Richtung sollte darin bestehen, die vorhandenen Fähigkeiten im Hinblick auf ungewisse Zukünfte und strategische Perspektiven zu überarbeiten. Fähigkeiten, die ein Zusammenspiel von Resilienz, Krisenmanagement und Kreativität beinhalten, sollten vorrangig behandelt werden.
WAS WENN: Aktionselemente
Zwei Dinge sind von grundlegender Bedeutung für eine bessere Zukunft: eine neue Form der Bürokratie, die den Menschen stärker in den Mittelpunkt stellt und Verbindungen schaff, und neue Spielregeln, die auf struktureller Vielfalt, Reaktionsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit beruhen. Letzteres bedeutet, dass die Regeln besser auf die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Erwartungen der verschiedenen Gruppen von Menschen abgestimmt und angepasst werden müssen. In dem Maße, in dem die Unterschiede zwischen den Generationen, den Geschlechtern und den Qualifikationen stärker in der Gesellschaft reflektiert werden, ebenso wie neue Technologien und technologiegestützte Interaktionen entstehen, müssen sich die Institutionen entsprechend anpassen und anerkennen, dass es mehr als eine Perspektive gibt, um die Organisation zu betrachten. In Abbildung 4 stellen wir einige Perspektiven vor, die zu berücksichtigen sind:
- Frauen in der öffentlichen Verwaltung: Sie sind eher bereit zur Veränderung, da die vorherrschenden Arbeitsbedingungen und derzeitigen institutionellen Strukturen vor allem ihre Mitsprache einschränken.
- Digital Natives und Digital Learners: Sie stoßen aufeinander und arbeiten zeitweise zusammen. Beide Gruppen sind bereit, ihre Fähigkeiten und das Arbeitsumfeld zu optimieren.
- Langjährige Mitarbeiter:innen: Sie empfinden das schnelle Tempo der Veränderungen als Herausforderung (nicht als Bedrohung). Sie sind auf der Suche nach neuer Stabilität und versuchen, neue Ansätze mit dem zu verbinden, was innerhalb der Institution funktioniert.
- Hybride Heimarbeiter:innen: Sie streben nach einem Mittelweg zwischen dem Heimbüro und der Arbeit vor Ort. Sie sehnen sich nach neuen Wegen der Interaktion, Koordination und Teambildung.
Die Ergebnisse des InnoKompasses lassen sich so lesen, dass Organisationen des öffentlichen Sektors die ersten Schritte in Richtung digitaler, inklusiver und kollaborativer Institutionen unternehmen werden, wenn sie diesen Gruppen eine Stimme geben. Da nicht klar ist, wie dies zu bewerkstelligen ist, können diese neuen Umstände und Bedürfnisse auf strukturierte Weise für ein ergebnisoffenes Experimentieren genutzt werden.
Die Zukunft wird auch durch eine interaktivere und bescheidenere Verwaltung (Humble Governance-Ansatz) gekennzeichnet sein. Dadurch wird es möglich, Fehler zu akzeptieren und systematischer aus ihnen zu lernen. Die Befragten sind der Meinung, dass die Staats- und Regierungschefs immer noch zu weit von den wichtigsten Fragen und damit von den Bedürfnissen der Bürger:innen entfernt sind. Sie fordern daher weniger perfekte und menschlichere Führungspersonen, die in der Lage sind, sich so oft wie möglich (neu) anzupassen und die verschiedenen Lernerfahrungen und das Potenzial des Teams zu integrieren. Generalist:innen mit Erfahrungen in sehr unterschiedlichen Sektoren und Bereichen könnten den Weg in diese Richtung weisen - sie verfügen über Profile, die mit Vielfalt umgehen und auf Ungewissheit reagieren können und sie wissen, wie man Chancen durch Experimente ermöglicht und ausbaut.
Wenn kreative Bürokrat:innen schließlich in die Zukunft blicken, sehen sie eine Allianz zwischen sich und den Nutzer:innen. Sie befinden sich auf Augenhöhe und sind in der Lage, den Wandel voranzutreiben und ihn tatsächlich von unten nach oben zu fördern. Angesichts der Dringlichkeit ist es zunehmend notwendig, diese Allianzen zu verwirklichen, um mit Verantwortung und Empathie zu reagieren. So fordern wir beispielsweise eine offene und rechtzeitige Überprüfung und Überarbeitung des Status quo, um bessere Antworten auf das Unbekannte vorzubereiten, langanhaltende politische Fehler zu beheben und eine vielfältig aussehende Zukunft aufzubauen.
Die Ergebnisse des InnoKompasses zeigen uns, dass iterative Problemlösungsprozesse zusammen mit wirklich vielfältigen Teams für vier Hauptergebnisse wesentlich sind: Erstens, um besser auf neue Herausforderungen reagieren zu können, zweitens, um wirklich nachhaltige und integrative Politiken zu entwickeln, drittens, um umfassendere Konzepte des Wohlbefindens in jeden Schritt des Entscheidungsprozesses einzubeziehen, und viertens, um neue und zukunftsorientierte Problemlösungsmechanismen mitzugestalten. Regierungen, öffentliche Einrichtungen und Teams müssen gut gerüstet sein, um rechtzeitig und angemessen zu reagieren, damit alle Bürger:innen einen Beitrag zur Gestaltung der vor uns liegenden, ungewissen Zukunft leisten können und (wieder) Vertrauen in öffentliche Organisationen und Regierungsorganisationen gewinnen.
Zusammenfassung
Die folgenden Bereiche sind kritisch und erfordern besondere Beachtung und Investitionen, um öffentliche Organisationen und Teams kurzfristig effektiver und langfristig vorausschauender aufzustellen:
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Persönliche und berufliche Kompetenzen- Fähigkeiten zur Zusammenarbeit und Integration in einem digitalen Umfeld- Selbstwahrnehmung, Belastbarkeit und Krisenmanagement- Achtsamkeit gegenüber den Unterschieden zwischen den Generationen - offen sein für Zusammenarbeit
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Führungsqualitäten- Weniger ego-, leistungs- und karriereorientierte Führungskräfte. Stattdessen menschlicher, ermöglichender und bescheidener sein- Integrativ, anpassungsfähig und das menschliche Potenzial der Vielfalt fördernd- Generalist:innen einstellen, die experimentierfreudig sind und den Status quo gemeinsam mit ihren Mitarbeiter:innen in Frage stellen
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Kultureller Wandel- Achtsamkeit gegenüber den Wechselwirkungen des täglichen Lebens mit den Arbeitsanforderungen insbesondere im Homeoffice - es ist nicht nur die Person vor dem Bildschirm, sondern auch ihre Familie, die anderen Lebewesen, die Kultur usw.- Umfassende Konzepte für eine digitale Zusammenarbeit und zukunftsfähige digitale Institutionen
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Technik/Infrastruktur- Kontextualisierung von Tools und Plattformen auf den Kontext des Homeoffices - Verbindung (digitaler) Silos- Verbesserte digitale Infrastrukturen, die mehr Interaktion und kollegiale Zusammenarbeit ermöglichen
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Regeln und Vorschriften- Neue und anpassungsfähige personelle und organisatorische Konfigurationen- Einbeziehung der Vielfalt und der unterschiedlichen Kontexte der verschiedenen Gruppen (Frauen, Senior:innen, LGTBQ+, Alleinerziehende, Eingewanderte usw.).
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Struktureller Wandel- Überarbeitung des Auftrags und der Vision der Organisationen, die sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen (einschließlich der Beamten) orientieren- Vorausschauende, zukunftsweisende Methoden der Politikgestaltung und mehr Innovation im öffentlichen Sektor
Weiterführendes von ÖFIT:
Nutzer:innenzentriertes Arbeiten in der öffentlichen Verwaltung
Herausforderungen und Lösungsansätze
Die Verwaltung steht unter wachsendem Druck, Bürger:innen mehr ins Zentrum ihres Handelns zu stellen. Das Impulspapier beleuchtet in diesem Zusammenhang bestehende Herausforderungen und liefert Inspiration für Methoden, die den Umgang mit ihnen für beide Seiten erleichtern und damit helfen können, nutzer:innenzentriertes Arbeiten im Verwaltungsalltag nachhaltig zu integrieren.
Jana Plomin, Ines Hölscher, Joana Visel, Jakob Kühler (2022)
Berlin: Fraunhofer FOKUS: Kompetenzzentrum Öffentliche IT
Zum White Paper »Nutzer:innenzentriertes Arbeiten in der öffentlichen Verwaltung«Digitalisierungsprojekte in der Praxis
(In-)Formalität und Machtspiele verstehen
Digitalisierung erscheint oft als eine externe Kraft, die sich über unsere Gesellschaft legt: Kaum ein Lebensbereich bleibt unangetastet. Das ÖFIT-Paper ist eine kleine Hinterbühnenführung durch die Realität von Digitalisierungsprojekten in und zwischen Organisationen. Von Formalitäten bis zur User Experience.
Dr. Stefanie Büchner, Stefanie Hecht, Holger Kurrek (2018)
Berlin: Fraunhofer FOKUS: Kompetenzzentrum Öffentliche IT
Zum White Paper »Digitalisierungsprojekte in der Praxis«Begleitforschung zu Arbeitsmethoden der Bundesverwaltung
Die Begleitforschung zu den »Work4Germany« und »Tech4Germany« Fellowship-Programmen, die von der bundeseigenen GmbH DigitalService4Germany implementiert werden, befasst sich mit der Frage, wie neue Arbeitsmethoden und Prototypen neuer bzw. verbesserter Dienstleistungen langfristig in die Prozesse der Bundesverwaltung implementiert werden können.
Zum Blogbeitrag »Begleitforschung zu Arbeitsmethoden der Bundesverwaltung«[1] https://www.oeffentliche-it.de/-/bereit-zur-transformation ↩
[2] Wir benutzen die Bezeichnung Bedienstete im öffentlichen Dienst im folgenden Text als Sammelbegriff für die verschiedenen Positionen innerhalb des Öffentlichen Sektors. Hierzu gehören z.B. Beamte, befristete oder unbefristete Mitarbeiter:innen, Berater:innen, Führungskräfte, wissenschaftliche Mitarbeiter:innen, usw. ↩
[3] Das Projekt ist ein gemeinsames Unterfangen von Politics for Tomorrow (P4T), Fraunhofer FOKUS und der University of Public Administration (Uni Speyer). https://websites.fraunhofer.de/dps-umfragen/index.php/868334?lang=de ↩
[4] Wörter der menschlichen Dimensionen: Beharrung, Geringschätzung, Abhängigkeiten, Überlastung, Redundanz, Eigene, Gemeinsame, Leistung, Neues bewegen, Wertschätzung, Chancengleichheit, Motivation, Individuen, Eigenständigkeit, Vertrauen, Personalentwicklung, Wertbasierte. ↩
[5] Wörter der organisationsbezogenen Dimensionen: Stagnation, Fremdbestimmung, Kontinuität, Unklarheit, Bürokratie, Sinn & Zweck, Selbstbestimmt arbeiten, Zusammenhalt, Flexibles, Ortsunabhängiges Arbeiten, Diversität, Bürokratieabbau, Vereinfachung, Kooperation, Zusammenarbeit, Agile Ansätze, Effektives Wissensmanagement, Organisationsentwicklung, Flache Hierarchien, Transparente Kommunikation, Nachhaltige Entwicklung, Gesellschaftsorientierung, Nähe zu Bürger:innen. ↩
Veröffentlicht: 28.07.2022