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Ü65 und digital außen vor – lässt sich das noch gezielter ändern?

»Ü65« und digital außen vor – lässt sich das noch gezielter ändern?

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Gabriele Goldacker ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum Öffentliche IT am Fraunhofer FOKUS.

Viele Erhebungen zeigen, dass von den über 65-jährigen Bundesbürger:innen noch immer rund ein Fünftel »Nonliner:innen« sind, also das Internet weder gezielt noch wissentlich mittelbar[1] nutzen. Das sind immerhin rund 3,5 Millionen Menschen, die damit auch von staatlichen Internetangeboten nicht erreicht werden können.

Die folgende Grafik[2] zeigt die Anzahl der On- und Nonliner:innen pro Altersgruppe:

Abbildung 1: Nonliner:innen-Zahlen pro Altersgruppe

Sehr viele Ältere nutzen das Internet nicht, obwohl es in einer großen Zahl von Kommunen niedrigschwellige und oft kostenlose Angebote unterschiedlicher Träger gibt, die den grundlegenden Umgang mit dem Internet in lockerer Atmosphäre vermitteln. Häufig wenden sich solche Angebote sogar speziell an Senioren und Seniorinnen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) beispielsweise hat im Jahr 2021 im Rahmen des »DigitalPakt Alter« 100 solcher Angebote gefördert, um sie sichtbar(er) zu machen, zu stärken und auszuweiten.[3]

Selbst wenn man nur auf die 65- bis 74-Jährigen schaut, liegt Deutschland (22% Nonliner:innen) im europäischen Vergleich[4] bei der Internetnutzung hinter Staaten wie dem Kosovo (14% Nonliner:innen), ganz zu schweigen von Dänemark (5% Nonliner:innen) oder Island (2%).

Doch: Liegt es tatsächlich an mangelnder Sichtbarkeit, Stärke oder Verbreitung der Angebote, dass noch so viele Ältere Nonliner:innen sind?

Älter und Nonliner:in: Ein Phänomen vor allem bei Frauen

Eine repräsentative ÖFIT-Umfrage 2020 zeigt beginnend mit der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen merkliche Nonliner:innen -Anteile, die mit zunehmendem Alter deutlich ansteigen. Ist der Anteil bei den 55- bis 64-Jährigen mit jeweils etwa 4% bei Männern und Frauen noch ungefähr gleich, nehmen die Anteile bei den Frauen mit dem Alter deutlich überproportional zu: Bei den 65- bis 74-Jährigen sind es bereits 13% der Frauen gegenüber 5% der Männer. Von den 75- bis 84-Jährigen sind 16% der Männer und 40% der Frauen Nonliner:innen, was mehr als 450.000 bzw. 1.350.000 Menschen entspricht. Damit ist der Prozentsatz der Internet-fernen Frauen in den beiden letztgenannten Altersgruppen jeweils etwa 2,5-mal so hoch wie der der Männer.

Die folgende Grafik zeigt die Anteile der On- und Nonliner:innen bezogen auf die gesamte jeweilige Altersgruppe:

Abbildung 2: Nonliner:innen-Anteile pro Altersgruppe

In absoluten Zahlen sind die Unterschiede wegen des deutlichen Frauenüberschusses in den hier betrachteten Altersgruppen (65 bis 74 Jahre: 5,5 Prozentpunkte, 75 bis 84 Jahre: 7,4 Prozentpunkte) noch erheblicher. Dies veranschaulicht die folgende Grafik für die zusammengefasste Altersgruppe der 65- bis 84-Jährigen:

Abbildung 3: Zusammengefasste Altersgruppe der 65- bis 84-Jährigen

Von 100 Menschen zwischen 65 und 84 Jahren sind 4 Männer und 13 Frauen Nonliner:innen. Es stellt sich also insbesondere die Frage, wie mehr ältere Frauen mit dem Internet vertraut gemacht werden können.

Wie wirken sich verschiedene Faktoren auf die Internetnutzung aus?

Abbildung 4: Anteil der 65- bis 84-jährigen Onliner:innen bei Vorliegen bzw. Fehlen bestimmter begünstigender Faktoren

Unter den 65- bis 84-Jährigen, die Spaß am Ausprobieren technischer Neuerungen haben, die sich gern darüber austauschen, denen es wichtig ist, bei derartigen Neuerungen auf dem Laufenden zu sein, denen es nicht schwerfällt, sich an technische Neuerungen zu gewöhnen, oder denen die Geschwindigkeit technischer Neuerungen nicht zu hoch ist (Mehrfachnennung möglich), sind jeweils mehr als 87% Onliner. Bei denen, für die das jeweils nicht zutrifft, liegt der Anteil der Nonliner:innen bei über 20%.

Interessant ist, dass bei beiden Betrachtungsformen der Spaß (bzw. »Nicht-Spaß«) am Ausprobieren technischer Neuerungen offenbar weitaus einflussreicher ist als die empfundene Schwierigkeit bei der Gewöhnung an derartige Neuerungen: Von denen, die keinen Spaß am Ausprobieren haben, benutzen mit gut 70% nicht nur anteilig deutlich weniger Ältere das Internet als von denen, denen die Gewöhnung schwerfällt (fast 77% Onliner:innen). Auch die Differenz der Anteile der Onliner:innen mit bzw. ohne Spaß am Ausprobieren (mehr als 22 Prozentpunkte) ist erheblich höher als die der Onliner:innen ohne bzw. mit Schwierigkeiten bei der Gewöhnung (weniger als 12 Prozentpunkte). Dies lässt vermuten, dass es bei Einstiegsangeboten für Ältere nicht nur darauf ankommt, die »Einfachheit« der Internetnutzung zu vermitteln, sondern auch beim möglichen individuellen »Spaß« anzuknüpfen.

Wer beispielsweise Freude am Fotografieren hat, dem eröffnen sich heute angesichts der Multifunktionalität von Smartphones und Tablets vielfältige neue Möglichkeiten, mit einem einzigen Gerät zu fotografieren, seine Werke Interessierten zugänglich zu machen und sich über dieses Hobby auszutauschen. Digitalfotografie mit dem Smartphone/Tablet kann also durchaus ein Schritt zum Internet sein, sogar wenn es nur darum geht, Familienmitglieder oder Freunde am eigenen Leben (per Foto) teilhaben zu lassen.

Bereits bei den Selbsteinschätzungen zu technischen Neuerungen im Allgemeinen sind bezüglich der hier betrachteten Einflüsse auf die Nutzung solcher Neuerungen – Spaß am Ausprobieren, Interesse am Austausch, Wichtigkeit des Auf-dem-Laufenden-Seins, Schwierigkeit der Gewöhnung und Geschwindigkeit der Veränderungen – deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu beobachten. Bei allen begünstigenden Faktoren liegt der Anteil der Selbsteinschätzungen »(eher) zutreffend« von Frauen zwischen 65 und 84 Jahren deutlich unter dem der Männer derselben Altersgruppe (ohne Abbildung). Sowohl bei Vorliegen als auch bei Fehlen der betrachteten begünstigenden Faktoren ist dann der Anteil der Nonliner:innen bei den Frauen erheblich höher als bei den Männern, wie die beiden folgenden Abbildungen zeigen. Besonders auffällig ist, dass selbst von den weiblichen 65- bis 84-Jährigen, denen es nicht schwerfällt, sich an technische Neuerungen zu gewöhnen, fast 20% Nonliner:innen sind, bei den Männern mit gleicher Selbsteinschätzung sind es weniger als 4%.

Abbildung 5: Internetnutzung 65- bis 84-Jähriger bei begünstigenden Faktoren
Abbildung 6: Internetnutzung 65- bis 84-Jähriger, wenn begünstigende Faktoren fehlen

Diese Beobachtungen legen nahe, dass die schwächere Internetnutzung der über 65-jährigen Frauen unter anderem mit einer generell geringeren Technikaffinität dieser Personengruppe zusammenhängt. Auch unter diesem Gesichtspunkt könnten Angebote, die das Internet weniger in den Mittelpunkt stellen, sondern es »als Mittel zum Zweck« nutzen, möglicherweise weitere Frauen motivieren, den Einstieg zu wagen.

So gibt es inzwischen für nahezu jedes Hobby, jeden Alltagsbereich und jede Krankheit Foren, in denen sich die jeweils Interessierten bzw. Betroffenen untereinander austauschen. Speziell bei Kreativhobbys – die verstärkt von Rentner:innen ausgeübt werden – bieten entsprechende Foren die Möglichkeit, die eigenen Ergebnisse zu präsentieren und sich Tipps von Gleichgesinnten zu holen. Gruppen, in denen solche Hobbys ausgeübt werden, könnten also, bei geeigneter Unterstützung, auch als Motivator für den Interneteinstieg genutzt werden, zum Beispiel, indem gemeinsam eine Online-Ausstellung organisiert wird. Gerade Foren zu Kreativhobbys ermöglichen zudem etwas, das viele Ältere zu selten erleben: Anerkennung und Wertschätzung – sei es für die eigenen Werke oder für gute Tipps, die sie geben können. Dieser Aspekt verringert zwar (gefühlte) Einstiegshürden nicht, kann aber eine vielfältigere Beschäftigung mit den Möglichkeiten des Internets fördern.

Alleinlebende Ältere sind häufiger Nonliner:innen als Ältere in Mehrpersonenhaushalten

Naiv könnte man annehmen, dass Alleinlebende verstärkt das Internet nutzen, um beispielsweise geringere soziale Kontakte oder geringere Austauschmöglichkeiten zu relevanten Themen zu kompensieren. Dies gilt jedoch nicht für die Älteren:

Von den alleinlebenden 65- bis 84-jährigen Frauen sind fast 33% Nonliner:innen, bei den Männern sind es immerhin mehr als 17%. Daraus ergibt sich bei den Frauen eine Anzahl von mehr als 1,1 Millionen, bei den Männern von gut 230.000. Im Vergleich dazu sind bei den 65- bis 84-Jährigen, die in Mehrpersonenhaushalten leben, weniger als 15% der Frauen Nonliner:innen und nur gut 5% der Männer. Dies sind trotzdem noch rund 700.000 Frauen und gut 300.000 Männer.

Die folgenden Grafiken zeigen die Anteile bzw. die Anzahlen der 65- bis 84-Jährigen On- und Nonliner:innen jeweils bezogen auf Ein- und in Mehrpersonenhaushalte:

Abbildung 7: Nonliner:innen-Anteile bei den 65- bis 84-Jährigen in Ein- und Mehrpersonenhaushalten
Abbildung 8: Nonliner:innen-Zahlen bei den 65- bis 84-Jährigen in Ein- und Mehrpersonenhaushalten

Weitere Haushaltsmitglieder scheinen sich motivierend darauf auszuwirken, das Internet auch selbst zu benutzen. Begünstigend wirkt möglicherweise, dass bei Schwierigkeiten Hilfe oft schnell und unkompliziert zur Verfügung steht, aber auch, dass gemeinsam erlebte Schwierigkeiten seltener als unüberwindbares eigenes Unvermögen angesehen werden.

Daher lohnt die Überlegung, Angebote auf Einsteiger-, aber auch auf mittlerem Niveau stärker auf Alleinlebende auszurichten. Ebenso könnte es Erfolg versprechend sein, derartige Angebote in Gruppen von Älteren zu bewerben oder direkt anzubieten, die vornehmlich von Alleinlebenden besucht werden, z.B. in kommunalen, karitativen oder kirchlichen Seniorentreffs.

Fazit

Bei den Älteren gibt es vielfältige Faktoren, die die Internetnutzung begünstigen oder behindern. Diese Faktoren können individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Begünstigende Faktoren reichen vom Spaß am Ausprobieren technischer Neuerungen über die subjektive Wichtigkeit des »Mitreden-Könnens« zu derartigen Entwicklungen bis hin zur empfundenen Leichtigkeit im Umgang mit diesen Neuerungen. Aber auch untechnische Aspekte wie der Spaß am Präsentieren eigener – digitaler wie physischer – Werke könnten förderlich sein. Hemmend sind anscheinend nicht nur mangelndes Interesse oder (zu) hohe Geschwindigkeit technischer Neuerungen, sondern auch das Alleinleben – vielleicht, weil unkomplizierte Hilfe bei Schwierigkeiten fehlt oder übliche Einstiegsprobleme mangels Vergleichsmöglichkeit als persönliches Unvermögen eingestuft werden. Diese Faktoren sollten identifiziert und gezielt bei Einstiegsangeboten berücksichtigt werden, um noch mehr Ältere zur Internetnutzung zu bewegen.


[1] Das Internet wird beispielsweise dann »wissentlich mittelbar« genutzt, wenn Geräte Vitalfunktionen überwachen und den Nutzern bekannt ist, dass diese Geräte über das Internet kommunizieren.

[2] Soweit nicht anders angegeben, basieren alle Zahlen und Grafiken zu (N)onliner:innen und technischen Neuerungen auf einer 2020 durchgeführten, repräsentativen ÖFIT-Umfrage (5556 Befragte). Die zugrunde gelegten Zahlen zu Bevölkerung und Haushalten stammen vom Statistischen Bundesamt (Destatis, https://www.destatis.de/DE/Home/_inhalt.html).

[3] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/breites-gesellschaftliches-buendnis-startet-digitalpakt-alter--184842.

[4] Quelle: Eurostat, Zahlen bezogen auf 2020. Eurostat differenziert innerhalb der Altersgruppe >= 75 Jahre nicht.


Veröffentlicht: 10.06.2022