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Wie EU-Datenregulierung Nachhaltigkeit fördert

Wie EU-Datenregulierung Nachhaltigkeit fördert

Gastbeitrag von

Aline Blankertz ist angewandte Ökonomin und setzt sich aktuell als Referentin für Politik und den öffentlichen Sektor bei Wikimedia Deutschland für politische Rahmenbedingungen für Freies Wissen ein, u.a. in der Datenpolitik und Plattformregulierung. Sie arbeitet seit einigen Jahren zu verschiedenen Themen der digitalen und Datenökonomie. Aline studierte an der Hochschule St. Gallen (Schweiz), Universidad Torcuato di Tella (Argentinien), University of Oxford (Großbritannien), WWU Münster und Chulalongkorn University (Thailand).

Ein Überblick über alle Beiträge dieser Reihe befindet sich hier: Blogreihe Nachhaltigkeit

Die Europäische Union versucht durch Verordnungen und Richtlinien einen Rahmen für nachhaltigere und stärker gemeinwohlorientierte Märkte zu schaffen: so der European Green Deal mit dem Zielbild, bis 2050 als erster Kontinent klimaneutral zu werden, oder das EU-Lieferkettengesetz, das die Einhaltung von ökologisch und sozialen Standards entlang von Lieferketten vorschreibt. Digitale Technologien können zur Unterstützung und Erfüllung der Rahmenziele beitragen. Das gelingt am besten, wenn diese Technologien transparent gestaltet sind und effektive Steuerungsmöglichkeiten für mehr Nachhaltigkeit bereitstellen. Im Folgenden soll der Fokus auf ökologischer Nachhaltigkeit liegen, eine Dimension von sowohl digitalem Gemeinwohl als auch digitaler Nachhaltigkeit.

Daten für mehr Nachhaltigkeit: digitale Produktpässe

Eine stärkere Kreislaufwirtschaft kann zu ökologischer Nachhaltigkeit beitragen: Das bedeutet, dass Produkte u.a. möglichst ressourcenarm produziert, repariert und wiederverwertet werden sollen. Dazu müssen Unternehmen ihre Produktionsweise umstellen. Menschen sollen in die Lage versetzt werden, Produkte leichter (selbst) zu reparieren und so weiterzuverwenden, dass sie insgesamt langlebiger werden. Die ESPR wurde Ende Mai 2024 final beschlossen und schafft als Rahmengesetz die Möglichkeit, für verschiedene Produktgruppen höhere Anforderungen an u.a. Ressourcenverbrauch, Veränderbarkeit und Recyclingfähigkeit zu entwickeln und vorzuschreiben.

Bestandteil einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft sind Informationsflüsse zwischen Beteiligten wie Herstellern, Werkstätten, Verbraucher:innen und Entsorger:innen. Das können zum Beispiel Listen von Inhaltsstoffen, Reparaturpläne oder Emissionsdaten sein. Solche Daten sind für Reparatur und Wartung kritisch, es braucht frei verfügbares Wissen zum Beispiel darüber, welche Komponenten wie miteinander verbunden sind oder wie Ersatzteile verfügbar sind.

Die ESPR sieht vor, dass Hersteller von Produkten Kreislauf-relevante Daten in sogenannten digitalen Produktpässen bereitstellen . Welche Daten digitale Produktpässe für unterschiedliche Produktgruppen wie Textilien und Baustoffe umfassen, wird die EU-Kommission nachgelagert im Detail festlegen. Als ersten Testballon mit besonders hoher ökologischer Dringlichkeit hat sie die Batteriepässe auf den Weg geschickt, die detaillierte Informationen zur Zusammensetzung und Wiederverwertbarkeit von Batterien enthalten. Die Batteriepässe sind bereits in der technischen Umsetzung und werden Aufschluss darüber geben, inwiefern die Daten Recycling erleichtern und Käufer:innen dazu bewegen, langlebigere Batterien zu wählen.

Digitale Produktpässe haben das Potenzial, organisationsübergreifende Transparenz über die ökologische Beschaffenheit von Produkten herzustellen. Eine solche Transparenz ermöglicht zum Beispiel Verbraucher:innen die Berücksichtigung der erwarteten Lebensdauer eines Produktes oder Reparaturwerkstätten die Erstellung von Ersatzteilen z.B. mit 3D-Druckteilen. Darüber hinaus ist Transparenz eine Voraussetzung dafür, dass Politik die Entwicklung auf Märkten in Bezug auf Ressourcenverbrauch besser beobachten und stärker steuern kann. So könnte die EU oder nationale Regierungen ihre Anforderungen an Ressourceneffizienz, Reparierbarkeit und Wiederverwertung stufenweise erhöhen. Dazu müssen die digitalen Produktpässe allerdings möglichst umfassend Daten für viele Marktbeteiligte bereitstellen.

Daten als Voraussetzung für eine nachhaltige Steuerung von Märkten

Einen breiteren Zugang zu Daten, um das Gemeinwohl zu fördern, hat die EU-Kommission auch in anderen Domänen der Regulierung verankert: Einer Ende 2023 beschlossenen Gesetzesänderung zufolge müssen Mobilitätsanbieter mehr Daten bereitstellen, u.a. um mehr Intermodalität (verkehrsmittelübergreifende Mobilität) zu ermöglichen. Im Europäischen Gesundheitsdatenraum sollen mehr Daten für gemeinwohlorientierte Forschung bereitstehen. Höhere Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen sollen die sozialen und ökologischen Auswirkungen von wirtschaftlichen Aktivitäten sichtbarer machen und der Data Act verpflichtet Unternehmen, Behörden Daten zugänglich zu machen, wenn diese damit Notlagen effektiver begegnen können. Alle Maßnahmen basieren auf dem Gedanken, dass mehr Daten notwendig sind, um gemeinwohlorientierte Zwecke zu verfolgen.

Allerdings ist es noch sehr früh, um abzuschätzen, ob die bestehenden Datenzugangspflichten ausreichen, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Es gibt bisher keine öffentlich bekannten Fälle , in denen sie konkret zur Anwendung gekommen sind. Bei den digitalen Produktpässen hängt es zudem vom noch zu bestimmenden Umfang der Datenanforderungen ab. Einige an der Ausgestaltung Beteiligte, vor allem Unternehmen, haben ein Interesse daran, möglichst wenige Daten zugänglich zu machen. Für sie kollidiert eine Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft mit bestehenden Geschäftsmodellen. Häufig argumentieren sie mit Geschäftsgeheimnissen oder geistigem Eigentum, um weniger Daten zu teilen. Aus gesellschaftlicher Perspektive ist es wünschenswert, dass die Interessen des Gemeinwohls stärker beachtet werden.

Mehr Daten nutzen: was die öffentliche Verwaltung tun kann

Was ist also zu tun, damit die digitalen Produktpässe den gewünschten Effekt erzielen und zu mehr Nachhaltigkeit beitragen? Viele Aspekte der Ausgestaltung liegen zunächst bei den EU-Institutionen. Dazu gehört u.a. die Definition der Dateninfrastruktur, über die Hersteller die digitalen Produktpässe bereitstellen und andere darauf zugreifen können.

Auf nationaler und kommunaler Ebene können Politik und Verwaltung die Daten nutzen. Sie können beobachten, inwiefern lokale Hersteller bereits kreislaufwirtschaftsfähig sind und, sofern rechtlich möglich, höhere Anforderungen definieren. Vor allem aber können sie die Daten nutzen, um die Nachfrage des öffentlichen Sektors zum Beispiel in der Beschaffung und Vergabe nachhaltiger zu gestalten: Das heißt, öffentliche Stellen können, sofern rechtlich zulässig, digitale Produktpässe nutzen, um besonders langlebige oder reparierbare Angebote zu identifizieren und zu beschaffen, beispielsweise in den Bereichen Gebäude und Elektronik. Zudem können sie Prozesse etablieren, um selbst die Kreislaufwirtschaft umfassend zu nutzen, indem sie ressourcenarm beschaffen, möglichst viel reparieren und intensiv recyclen.

Datenverfügbarkeit ist die Grundlage, um Märkte transparenter zu machen und effektiv zu regulieren. Digitale Produktpässe sind besonders vielversprechend, um ökologische Nachhaltigkeit sektorübergreifend voranzubringen. Ihr Erfolg hängt davon ab, dass Produktdaten möglichst umfassend bereitstehen - und natürlich auch genutzt werden, um das Zielbild einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu erreichen.

Weiterführendes von ÖFIT:

Titelbild der Publikation Wertebasierte Digitalisierung für nachhaltige Entwicklung im öffentlichen Sektor

April 2023

Wertebasierte Digitalisierung für nachhaltige Entwicklung im öffentlichen Sektor

Digitalisierung und Nachhaltigkeit stellen grundlegende strukturelle Transformationen dar, die zusammengedacht werden sollten. Um dies erfolgreich zu meistern, kann die öffentliche Hand digitale Technologien als Werkzeug zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen einsetzen. Gleichzeitig sollten digitale Technologien anhand von Nachhaltigkeitskriterien »in sich selbst« nachhaltiger gestaltet werden. Das White Paper präsentiert relevante Konzepte, Kriterien und Werkzeuge, welche die Nachhaltigkeitsbewertung von Digitalisierungsvorhaben erleichtern. Diese werden in einem »Nachhaltigkeits-Canvas« zusammengeführt, welches Akteur:innen aus dem öffentlichen Sektor bei der Umsetzung solcher Vorhaben unterstützen kann. Ergänzt wird das White Paper durch eine kommunale Praxisperspektive der Landeshauptstadt Kiel, die gemeinsam mit City & Bits erarbeitet wurde. Neben der Publikation kann ebenfalls das Nachhaltigkeits-Canvas als Poster heruntergeladen werden.

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Titelbild der Publikation

September 2022

Die Logik der Daten nutzen - Fortschrittliche Datenstrategien entwickeln

Daten bieten perfekte Eigenschaften für eine intensive Nutzung: Sie nutzen sich nicht ab und schaffen mitunter völlig neue Lösungsmöglichkeiten. Entsprechend bedeutsam für Staat, Gesellschaft und Wirtschaft ist es, dass Daten möglichst vielfältig genutzten werden. Bislang profitieren jedoch nur wenige Akteure von meist eigenen, geschlossenen Datenquellen. Datenstrategien sollten, so das Petitum dieses White Papers, dies berücksichtigen und als umfassende Datennutzungsstrategien angelegt werden. Dabei rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie die Datenteilung und -nutzung incentiviert und Barrieren abgebaut werden können. Ziel ist es, den Wettbewerb um die besten, datengetriebenen Ideen zu eröffnen und so Innovationen zu fördern.

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Veröffentlicht: 10.07.2024