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Digitalisierung in der Bildung: Wie können alle öffentlichen Institutionen einen Beitrag leisten?

Digitalisierung in der Bildung: Wie können alle öffentlichen Institutionen einen Beitrag leisten?

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Dr. Magdalena Spaude arbeitet am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung und vertritt das Projekt OERInfoEB, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Das Projekt hat zum Ziel, Kompetenzen hinsichtlich offener Bildungsmaterialien (OER) im Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung zu verankern und zu vertiefen.

In der Bildungspolitik ist Digitalisierung nicht erst seit der Corona-Krise ein forciertes Thema. Seit Corona haben und mussten sich aber weite Teile der Gesellschaft damit beschäftigen, z.B. Eltern, deren Kinder zu Hause unterrichtet wurden. Die Bildungslandschaft besteht jedoch nicht nur aus Schulen. Universitäten gehören ebenso dazu wie die berufliche Ausbildung oder die Erwachsenen- und Weiterbildung. In allen diesen Bereichen sind viele Menschen als Lehrende tätig und viele Menschen profitieren davon als Lernende.

Zwei Vorteile der Digitalisierung für Lehrende sind die schnelle Verfügbarkeit von Informationen im Netz und die Möglichkeit Lehr- und Lernmaterialien digital zu erstellen und in dieser Form den Lernenden zur Verfügung zu stellen. Sei es über E-Mail, eine Lernplattform oder eine Cloud. Es gibt natürlich noch viele weitere Vorzüge einer digitalen Welt wie erweiterte Kommunikations- oder Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Lehrenden oder mit den Lernenden. (Siehe dazu beispielsweise das ÖFIT-Diskussionspapier »Digitale Bildung«.) Diese erweiterten Möglichkeiten bringen allerdings auch Herausforderungen mit sich. Im Kontext der Erstellung von Lehrmaterialien und des Internets ist es das Urheberrecht. Und hier kommen öffentliche Einrichtungen und die Informationen und Materialien ins Spiel, die öffentliche Institutionen - meist auf ihren Webseiten - zur Verfügung stellen.

Internet als Quelle für Lehrmaterialien

Stellen Sie sich vor, Sie sind Lehrer oder Lehrerin und möchten etwas über Ernährung mit Ihren Schülerinnen und Schülern in der Grundschule oder in der Sekundarstufe machen. Das Thema kann aber auch in einer Ausbildung, z.B. zur Lebensmitteltechnikerin oder Erzieherin relevant sein oder in der Grundbildung von Erwachsenen, die ihre Bildungsabschlüsse nachholen möchten, oder in Integrationskursen für zugewanderte Menschen. Für den schulischen Bereich mag es noch Lehrbücher geben, die das Thema behandeln. Wobei sich hier die Frage stellt, wie aktuell sie sind. Für die anderen Bildungsbereiche und damit für die anderen Zielgruppen wird es deutlich weniger solcher Lehrmittel geben. Wie also würden Sie als Lehrender vorgehen, um an Inhalte für Ihren Unterricht zum Thema Ernährung zu kommen? Vermutlich würden Sie im Internet schauen und vermutlich würden Sie da auf Webseiten von Einrichtungen und Akteuren suchen, die Sie als fachlich einschlägig und seriös einstufen.

Im Fall von Ernährung könnte es zum Beispiel das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sein. Sie könnten dort auf diese Broschüre stoßen. Sie finden, dass sie sehr wichtige Probleme aufgreift, wie etwa die Grafik auf Seite 23, die Lebensmittelverschwendung veranschaulicht. Außerdem ist die Broschüre visuell sehr gut aufbereitet. Sie wäre also sehr gut für Ihren Unterricht geeignet. Sie haben auch schon eine Idee für eine Unterrichtseinheit. Die Grafik auf Seite 23 möchten Sie so modifizieren, dass die Beschriftungen über den Pfeilen, die in die Lebensmitteltonne führen, entfernt werden. Anschließend befragen Sie die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer oder Schülerinnen und Schüler, wie es dazu kommt, dass Lebensmittel weggeworfen werden und wer welchen Anteil daran hat. Das könnte z.B. in einer Gruppenarbeit stattfinden. Die Gruppen tragen ihre Ergebnisse in die Grafik ein, vergleichen diese anschließend untereinander und mit dem Original. Ein denkbares didaktisches Szenario.

Abbildung 1: Vorschau zur urheberrechtsgeschützten Grafik des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, für die uns ironischerweise keine Nutzungsrechte in diesem Blogpost gewährt wurden. Quelle: Eigene Darstellung

Urheberrecht als Hürde für Erstellung von Bildungsmaterialien

Nun gibt es aber leider ein Problem: Diese Broschüre ist von Rechts wegen urheberrechtlich geschützt. Sie dürfen sie nicht ohne Weiteres kopieren, weder analog noch digital, und schon gar nicht verändern, was Sie aber für den Unterricht gern machen würden.

Da zeitgemäßer Unterricht und andere Bildungsangebote von Aktualität, Anschaulichkeit und Medienvielfalt leben, hat der Gesetzgeber bestimmte Ausnahmen, so genannte Schranken, vom Urheberrecht im Kontext von Bildung und Wissenschaft vorgesehen. Das entsprechende Gesetz wurde im März 2018 novelliert und mit dem Paragraphen 60a Erleichterungen für Lehrende im Umgang mit urheberrechtlich geschützten Materialien festgeschrieben. Aber die Ausnahmen gelten nicht für jeden unterrichtlichen Kontext und Veränderungen sind ohnehin nicht erlaubt. Wem genau also der Paragraph was erlaubt und was nicht, ist für juristische Laien nicht ohne weiteres erkennbar.

Eine Möglichkeit, nicht mit dem Urheberrecht in Konflikt zu geraten und dieses Unterrichtsszenario mit dieser Broschüre umzusetzen, wäre es, den Urheber um Erlaubnis zu bitten. In diesem Fall das Ministerium. Es besteht aber das Problem, dass Sie genau wissen müssten, was Sie machen wollen, dieses erfragen und nur dafür hätten Sie dann die Erlaubnis, man spricht von einer Lizenz. (Wenn Sie denn eine bekommen.) Wenn Ihnen nun erst später einfällt, dass Sie gerne die modifizierte Grafik auch für Ihr Lehrerkollegium auf der Lernplattform Ihrer Einrichtung zur Verfügung stellen möchten, müssten Sie erneut um Erlaubnis bitten. Das zweite Problem ist, dass Sie nicht wüssten, wie lange der Urheber braucht, um Ihnen zu antworten. Vielleicht kommt die Einwilligung zu spät für Ihren Unterricht, ihr Bildungsangebot. Nun sind Sie vermutlich nicht Lehrender, aber als Leserin oder Leser dieses Blogs arbeiten Sie eventuell für eine Behörde oder sonstige öffentliche Einrichtung. Was könnte diese tun, um zu ermöglichen, dass ihre (Informations-)Materialien in Bildungseinrichtungen eingesetzt werden? Vielleicht sogar so, dass auch didaktisch sinnvolle Veränderungen möglich sind? Die Materialien müssten unter eine offene Lizenz gestellt werden. Damit wären sie dann so genannte Offene Bildungsmaterialien (Open Educational Resources).

Offene Bildungsmaterialien (OER)

2019 hat die UNESCO eine Empfehlung für die Förderung von OER durch ihre Mitgliedsstaaten ausgegeben. Dort werden Offene Bildungsmaterialien wie folgt definiert:

»Open Educational Resources (OER) sind Lern-, Lehr- und Forschungsmaterialien, in jedem Format und Medium, die gemeinfrei sind oder urheberrechtlich geschützt und unter einer offenen Lizenz veröffentlicht sind, wodurch kostenloser Zugang, Weiterverwendung, Nutzung zu beliebigen Zwecken, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch Andere erlaubt wird.«

Zwei Dinge ergeben sich aus dieser Definition. OER sind nicht nur Lehrbücher oder Arbeitsblätter. Es sind alle Materialien unabhängig von Art und Medium, die für Bildung genutzt werden können: Texte (wie Informationen, Berichte, Anleitungen, Konzepte), Bilder, Grafiken, Tabellen, Videos, Musik in digital oder analog. Das heißt, jede öffentliche Einrichtung kann OER »machen«, da jede Webseite zumindest Texte enthält. Häufig werden aber auch Infografiken oder ganze Infovideos veröffentlicht. Ein weiteres Beispiel, was eine offene Bildungsressource einer öffentlichen Einrichtung sein könnte, ist die Informationsbroschüre des Bundeskartellamtes. Hier wird im Kontext der Tätigkeit des Amtes definiert, was ein Kartell, was eine Fusion ist, und es wird dargestellt, was die Vorteile des wettbewerblichen Ordnungsprinzips sind. Es liegt auf der Hand, dass dieses Dokument ebenfalls in der Lehre, z.B. an Hochschulen, aber auch in der beruflichen (Weiter-)Bildung, eingesetzt werden könnte.

Die Voraussetzung dafür ist das zweite Definitionsmerkmal von OER: eine offene Lizenz. Als Standard haben sich die Creative Commons Lizenzen (CC) durchgesetzt, die sich aus einigen wenigen Bedingungen (Bausteinen) zusammensetzen und die mittels Symbolen dargestellt werden können (siehe Grafik). Offene Bildungsmaterialien werden mit den offenen Lizenzen CC Zero, CC BY oder CC BY-SA gekennzeichnet (die drei rechten Symbolspalten in der Grafik). Eine nicht offene Lizenzierung, z.B. eine, die keine Änderungen erlaubt, ist für Lehrende immer noch vorteilhafter als gar keine Erlaubnis. Immerhin dürfen sie die Ressource überhaupt nutzen und kennen die Bedingungen dafür. Das eventuell mühsame Einholen einer Nutzungsgenehmigung entfällt, für die öffentliche Einrichtung entfällt das Beantworten jeder einzelnen Nachfrage. Anschaulich erklärt werden die Creative-Commons-Lizenzen in diesem Video.

Abbildung 2: CC-Lizenzen und OER aus dem DIE-Brief Nr. 3; Deutsches Institut für Erwachsenenbildung; CC BY 3.0 DE.

Offene Lizenzen von öffentlichen Institutionen

Um die eigenen Werke als OER zur Verfügung zu stellen, muss eine Behörde zunächst festlegen, ob sie möchte, dass und welche Materialien genutzt werden. Ohnehin stellen viele öffentliche Institutionen explizites Lehrmaterial zur Verfügung, wie z.B. das oben bereits erwähnte Bundeskartellamt. Ohne eine Lizenz sind diese Lehrmaterialien allerdings urheberrechtlich geschützt und die Lehrenden können aus einem Hinweis wie »Hier finden Sie Unterrichtsmaterial zum Download« nicht ablesen, was sie mit diesem machen dürfen und was nicht. Daher ist der nächste Schritt, eine Lizenz für das Lehrmaterial zu wählen. Bei der Auswahl und Generierung dieser hilft der Creative Commons Licence Chooser. Es ist ganz einfach: Den generierten kurzen Text mit dem dazugehörigen Symbol einfach in das Werk kopieren, das man der Öffentlichkeit zur Nachnutzung bereitstellen möchte.

Wie bereits erwähnt, sind nicht alle CC-Lizenzen offen. Die Lizenz-Bestandteile NC (keine kommerzielle Nutzung erlaubt) und ND (keine Veränderungen erlaubt) schränken die Nachnutzung so stark ein, dass nicht mehr von Offenheit gesprochen werden kann. Als Urheber, der über eine NC-Einschränkung nachdenkt, sollte man bedenken, dass damit auch viele in der Bildung Tätige ausgeschlossen werden, z.B. selbstständige Beraterinnen oder Trainer in der Erwachsenenbildung. Kommerzielle Nutzung ist also nichts per se Unmoralisches. Auch aufgrund möglicher juristischer Unklarheiten gilt der NC-Baustein als problematisch. Wie bereits oben erwähnt, empfiehlt die UNESCO ihren Mitgliedsstaaten die Förderung von OER und damit die Wahl einer offenen Lizenz. Ausführliche Informationen zum Thema OER finden Sie auf der Seite von OERinfo, einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt.

Dieser Blogbeitrag »Digitalisierung in der Bildung: Wie können alle öffentlichen Institutionen einen Beitrag leisten?« von Dr. Magdalena Spaude für das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung ist lizenziert unter CC BY 3.0 DE.


Veröffentlicht: 14.12.2020