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Low Code als Law Code – Von der Idee zum Verwaltungsakt

Low Code als Law Code – Von der Idee zum Verwaltungsakt

Von Jens Tiemann und Simon Sebastian Hunt

Im Rahmen der Verwaltungsdigitalisierung ist derzeit das Thema Low Code populär: die Erstellung maßgeschneiderter Anwendungssoftware ohne tiefgreifende Programmierkenntnisse. Dieser Ansatz soll die Digitalisierung vereinfachen und beschleunigen. In diesem Artikel betrachten wir, wie die den Verwaltungsverfahren zugrunde liegende Rechtssetzung und -anwendung durch Low Code unterstützt werden kann. Diese Überlegungen ergänzen den ÖFIT-Impuls »Recht Digital«, in dem wir uns schon einmal mit dem Berührungspunkt der beiden Sphären »Law« und »Code« beschäftigt haben, also der Übertragung von Gesetzestexten in direkt ausführbaren Code.

Damit die Automatisierung dieses Übersetzungsprozesses und sukzessiv die der betroffenen Verwaltungsverfahren gelingen kann, muss die eine Logik (»Law«) in die andere (»Code«) übertragen und dabei konsequent äquivalent behandelt werden (vgl. oberer Teil Abbildung 1). Dazu braucht es angepasste Aufgaben und Rollen bekannter Akteur:innen und Werkzeuge, die Änderungen ausführen können. All dies muss aufeinander abgestimmt, in einen Gesamtprozess übertragen und mithilfe von Schnittstellen skalierbar gemacht werden: Von der Rechtsidee über die Ausarbeitung einer abstrakt generellen Norm hin zur Erstellung eines Verwaltungsverfahrens sowie dessen Durchführung bis zur Erzeugung eines konkreten individuellen Verwaltungsaktes. Wenn dies gelingt, kann Low Code zu einer verbesserten Verständlichkeit und Anwendbarkeit des Rechts beitragen und den Aufwand eines wichtigen Teils der Verwaltungsdigitalisierung minimieren.

Abbildung 1: Von der Idee zum Verwaltungsakt (ÖFIT-Illustration)

Betrachtet man den Status quo sehr vereinfacht, beginnt der Prozess im Bereich des natürlichsprachlichen Rechts mit dem Normgeber. Typischerweise wird im Wechsel aus Legislative und Exekutive aus der Rechtsidee ein Gesetzesentwurf, der mit seiner Verabschiedung zu geltendem Recht wird. Diese Norm wird dann durch die ausführende Verwaltung übersetzt und gemeinsam mit Softwareentwickler:innen in ein digitales Fachverfahren übertragen, welches anschließend bei den Betreibern der Rechenzentren gehostet und den Adressat:innen durch die Verwaltung bereitgestellt werden kann.

Modellierung meistert Komplexität

Der Prozess erfordert also ein Zusammenspiel von Jurist:innen über Techniker:innen zu den Anwender:innen. Hinter diesen Rollen steht eine Vielfalt an Aufgaben und unterschiedlichen Werkzeugen sowie Kompetenzen, die für deren Erfüllung notwendig sind. Um die Grundlagen einer Norm herauszuarbeiten, braucht es Wissens- und Datenbankwerkzeuge für die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs. Ausgehend von verfügbaren und zusätzlich notwendigen Daten werden Entscheidungslogiken und generelle Prozessschritte vorgegeben. Dieser Anfang, im Folgenden als Methodenteil bezeichnet, ist sehr wichtig für den gesamten Prozess, da er die Grundlagen für alle weiteren Schritte legt (siehe auch: »Digitaltaugliches Recht – Aus Sicht der legistischen Praxis«).

Für die konkrete Entwicklung und spätere (möglichst automatisierte) Anwendung eines Fachverfahrens braucht es die Umsetzung der Entscheidungslogik (Entscheidungstabelle, »if-then-else«) und die konkrete Beschreibung eines Workflows in Software. Die Ausarbeitung einer Norm ist bisher weniger formalisiert als die schon stark automatisierte Softwareentwicklung. Hervorzuheben ist jedoch, dass insbesondere der Übersetzungsschritt von Recht in den Programmcode der Software für das individuelle Fachverfahren gegenwärtig noch händisch vorgenommen wird. Diese Automatisierungslücke gilt es zu schließen.

Abbildung 2: Werkzeuge auf dem Weg von der Gesetzgebung zum Verwaltungsakt (ÖFIT-Illustration

Die modellgetriebene Softwareentwicklung stellt einen prominenten Ansatz dar, um Wissens- und Datenwerkzeuge mit Instrumenten zur Softwareentwicklung zu verknüpfen. Dabei wird die Software aus Modellen generiert, die relevante Ausschnitte der Realität beschreiben und dadurch die Komplexität soweit reduzieren, dass eine Aufgabe durch IT lösbar wird. Die Nutzung fachspezifischer Konzepte und Begriffe erlaubt eine knappe und gleichzeitig eindeutige Modellierung. Diese für Mensch und Maschine gleichermaßen lesbare Beschreibung dient nicht nur der Generierung der Fachanwendung, sondern erleichtert auch die Diskussion zwischen verschiedenen Fachexpert:innen und ermöglicht damit die schrittweise Verbesserung. Ferner erlauben solche Modelle weitere Automatisierungen, bspw. bei der Erzeugung von Testfällen oder Dokumentationen. Die Herausforderung im Anwendungsbereich Recht ist, dass IT mit eineindeutigen Kategorien arbeitet, während diese in der Praxis der Rechtsanwendung oft verschwimmen.

Modellierung aus technischer Sicht

Low Code kann als neue Entwicklungsstufe und damit Fortschreibung der Abstraktion bei der Softwareentwicklung gesehen werden: Die erste Generation von Programmiersprachen bildeten Maschinensprachen mit ihrer binären, direkt auf dem Prozessor lauffähigen Codierung. Assemblersprachen als zweite Generation erlaubten dann die Verwendung von Befehlskürzeln, sogenannten Mnemonics, mussten dafür aber zwischen Mensch und Maschine zusätzlich übersetzt werden. Erst in darauffolgenden Generationen erschlossen höhere Programmiersprachen Mechanismen leistungsfähiger Programmierung. Dazu gehören bspw. die einfache Lesbarkeit von Quellcode durch Strukturierung, die Wiederverwendung durch Programmbibliotheken oder objektorientierte Programmierung. Low Code kann als darauffolgende, weitere Abstraktionsstufe mit höherer Spezialisierung gesehen werden. Dabei wird mit Hilfe von Wissens- und Datentools ein Modell erzeugt, das anschließend die Erzeugung der Anwendungssoftware steuert.

Damit dieser Prozess auf einer eindeutigen Beschreibung basiert und anschließend weitgehend automatisiert ablaufen kann, sollten die folgenden Konzepte der Softwareentwicklung möglichst früh bei der Modellierung aufgegriffen werden:

  • Strukturierung: Strukturierung verbessert die Lesbarkeit von Programmen und verhindert grobe Fehler, indem bspw. die Konsequenzen aus Bedingungen eindeutig gegeneinander abgegrenzt sind (»if-then-else«). In grafischen Programmiersprachen können nur zulässige Kombinationen von Elementen angeordnet werden.
  • Wiederverwendung: Die Wiederverwendung von Programmcode und Modellen über Softwarebibliotheken ist weniger aufwendig und trägt durch die Eigenständigkeit von Bibliotheken zu deren Leistungsfähigkeit bei, indem die Funktionalität verbessert und Fehler behoben werden. Entsprechendes gilt für Basisdienste, auf die Anwendungen zugreifen (Funktionsmodule zur Kommunikation, Bezahlung, Identifikation, usw.).
  • Ereignisse und Kommunikation: Für die Umsetzung eines Rechtstextes in Programmcode im engeren Sinne ist eine statische Betrachtung ausreichend, die durch die o.g. Strukturierung unterstützt werden kann. Für die Umsetzung von Recht in (Fach-)Verfahren bzw. die Berücksichtigung einer möglichst effizienten Umsetzung durch die Verwaltung, müssen zusätzlich dynamische Aspekte berücksichtigt werden. Hier kommen Ereignisse, Kommunikation und Schnittstellen ins Spiel. Auf diese Weise werden Prozesse gestartet, Datensätze übertragen und Teilaufgaben zwischen verschiedenen Instanzen der Verwaltung verteilt.

Entlang dieser zunehmenden Abstraktion wird der Quellcode bzw. das Modell zunehmend verständlicher und im Verhältnis zum Umfang wesentlich leistungsfähiger. Gleichzeitig sind diese Modellierungen weniger universell und damit enger an den vorher festgelegten Anwendungsbereich gebunden. Aus Perspektive von IT-Sicherheit und Governance ist das durchaus ein Vorteil, muss aber für den langfristigen Einsatz von Low-Code-Systemen berücksichtigt werden.

Automatisierungslücke schließen

Es braucht eine Annäherung der Werkzeuge von Jurist:innen und Techniker:innen. Der Normgeber wird auch in Zukunft weiterhin abstrakte Regulierungsideen in Rechtstexte übertragen, digitale Werkzeuge aus der Low-Code-Toolchain sollten dabei jedoch früher einsetzen. Bereits bei der Erstellung von Normen sollte in Modellen gedacht und mit der Modellierung begonnen werden. Diese Modelle enthalten neben der möglichst eindeutigen digitalen Abbildung und Verknüpfung des normierten Tatbestands und dessen Rechtsfolge auch eine abstrakte Idee vom Verwaltungsprozess. Durch gegenseitigen Austausch kann die Verwaltung diese Modelle einerseits anreichern und dem Normgeber andererseits Bausteine sowie Erfahrungen aus (bestehenden) Verfahren zuspielen.

Diese durch notwendige Informationen und Prozessschritte angereicherten Modelle enthalten die erforderlichen Informationen und Schritte, die in ausführbare Fachverfahren übertragen werden können und somit praktisch angewendet werden. Dank dieser Methode müssen Softwareentwickler:innen nicht mehr in der Tiefe übersetzen, da sie Low-Code-Plattformen pflegen, die auch von IT-Laien (die allerdings Fachexpert:innen auf ihrem jeweiligen Gebiet sind) genutzt werden können. Dies schafft eine effiziente Brücke zwischen technischer Expertise und fachlicher Anwendung.

Diese Transformation einer abstrakten Beschreibung in konkreten Code kann durchaus von KI-basierten Tools (wie bspw. ChatGPT) unterstützt werden. In diesem Anwendungsfall kommt die KI zum Einsatz, um verschiedene Darstellungen, wie natürlichsprachlichen Text und Programmcode, ineinander zu transformieren. Rechtstexte können in Entscheidungstabellen überführt werden, die Teil der Fachanwendung werden. Umgekehrt ist natürlich auch denkbar, dass eine vollständig definierte Entscheidungstabelle in einen gekürzten Erklärtext umgewandelt wird, der auf den konkreten Fall eines Bürgers oder einer Bürgerin zugeschnitten ist.

Ein konkretes Prozessemodell, beispielsweise auf Basis von BPMN (Business Process Model and Notation), kann inzwischen automatisch in Software überführt werden. Auf diese Weise generierter Code stellt dann ein Fachverfahren dar, das automatisch bereitgestellt wird und Verwaltungsakte somit automatisiert erzeugen kann. Damit dies gelingen kann, sollte die Low-Code-Werkzeugkette möglichst früh einsetzen, direkt an den menschlichen Abstimmungsprozess anknüpfen und in den strategischen Prozess und seine Methoden eingebunden sein.

Abbildung 3: Der Methodenteil bereitet die Automatisierung vor (ÖFIT-Illustration)

Dieser Vorgang muss um Methoden und Kompetenzen erweitert werden, die die Erstellung eines allgemeinen Prozessmodells ermöglichen, welches dem konkreten ausführbaren Prozessmodell zugrunde gelegt werden kann. Es braucht also Werkzeuge für die Visualisierung von Prozessen und Entscheidungslogiken sowie die Kompetenzen und Methoden, diese auch verwenden zu können.

Die Automatisierung beginnt mit Wissensmanagement

Zugleich brauchen wir Werkzeuge für ein gutes Wissensmanagement. Die Harmonisierung mit späteren Prozessschritten, sowie die Dokumentation der Verwendung und Wiederverwendung von Verfahren und ihren Teilen kann so deutlich erleichtert werden. Es wäre möglich, Basisdienste aufzulisten, Begriffsdefinitionen mit zugehörigen Datenmodellen leicht auffindbar zu machen und ihre Eignung für den aktuellen Prozess zu prüfen.

Zu diesen notwendigen Tools werden auch neue Werkzeuge der Rechtsdokumentation gehören, darunter beispielsweise die Registerdokumentation zu den verfügbaren Daten und Möglichkeiten der Abrufbarkeit. Genauso wichtig wird eine Aufbereitung der Gesetzeslage sein. Das deutsche kodifizierte Recht bringt mit sich, dass bestimmte Verfahren über sehr viele Ebenen des Rechts beeinflusst werden. Hier kann eine gute Aufbereitung der Abhängigkeiten des kodifizierten Rechts und die Durchsuchbarkeit des Bestandes den Prozess im Verfahren von Anfang an beschleunigen und notwendige Anpassungen und Beeinflussungen transparent machen.

In diesem Artikel haben wir beschrieben, wie die Übertragung von Rechtsnormen in ausführbaren Code gelingt und wie modellgetriebene Softwareentwicklung dazu beitragen kann. Wir regen entsprechend an, Werkzeuge des Wissensmanagements und Erfahrungsaustauschs im Bereich der Rechtsetzung zu etablieren sowie bestehende Prozesse zu hinterfragen und anzupassen. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass die Vorteile von Low-Code-Plattformen zur Prozessautomatisierung in der Verwaltung nutzbar gemacht werden.

Ein Überblick über die bisherigen Beiträge dieser Blogreihe:

  1. Entlasten, nicht entmachten: Was der Gesetzgeber heute tun kann, um die Automatisierung der öffentlichen Verwaltung zu unterstützen
  2. Modellieren statt programmieren: Low Code und die digitalisierte Körperschaftssteuer
  3. »Better Rules«: Neuseelands Erfahrung mit digitalisierbarem Recht in der Corona-Krise
  4. Recht digital: Schwer verständlich »by Design« und allenfalls teilweise automatisierbar?
  5. Cracking the Code
  6. Digitaltaugliches Recht – Aus Sicht der legistischen Praxis
  7. Digital Only & Digital First – wie steht es um die rechtlichen Rahmenbedingungen?

Weiterführendes von ÖFIT:

Titelfolie Vortrag

Download Vortragsfolien Low Code als Law Code

Das interdisziplinäre Forschungsnetzwerk »Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau« hat sich von März bis Juli 2023 in einer Vortrags- und Diskussionsreihe mit der besseren Rechtsetzung befasst. Dabei wurden unterschiedliche Aspekte in den Fokus genommen. ÖFIT hielt einen Vortrag zur Modellierung in der Rechtsetzung, dessen Aufzeichnung hier zu finden ist.

Titelbild der Publikation Recht Digital - Maschinenverständlich und automatisierbar
Recht Digital – Maschinenverständlich und automatisierbar

Der vorliegende Impuls zeigt auf, welche sozio-technischen Aspekte in der Entstehung des digitalen Rechts zu berücksichtigen sind und wie der Rechtsetzungsprozess adaptiert werden kann, um eine Grundlage für die (Teil-)Automatisierung der Rechtsanwendung zu legen.

Resa Mohabbat Kar, Basanta E. P. Thapa, Simon Sebastian Hunt, Peter Parycek (2019)

Zur Publikation

Veröffentlicht: 12.09.2023