Sind Smart Cities gerecht?
Sind Smart Cities gerecht?
von Dr. Ralf Schüle
Dr. Ralf Schüle arbeitet im Referat Digitale Stadt, Risikovorsorge und Verkehr am Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumentwicklung. Neben dem Thema der digitalen Gerechtigkeit forscht und arbeitet er zu den Themen digitale Kompetenzentwicklung, Schnittstellen von Digitalisierung und Nachhaltigkeit, und Evaluationsansätze von Digitalisierungsstrategien. Er ist Lehrbeauftragter und Honorarprofessor an der Universität Duisburg-Essen im Profilschwerpunkt Urbane Systeme.
Digitale Daseinsvorsorge hat als Ziel, Teilhabe von Bürger:innen sowohl am Prozess der Digitalisierung als auch am Leben in der digitalisierten Gesellschaft zu gewährleisten und durch den Einsatz digitaler Technologien staatliche Angebote zu verbessern. Ralf Schüle entwickelt mit Kolleg:innen des Bundesin-stituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) einen Ansatz Digitaler Gerechtigkeit, der sowohl Vorschläge für eine eigene Strategieentwicklung formuliert als auch als Instrument zur (Selbst-)Reflexion und (Selbst-)Evaluation gerechter Digitalisierung dient. Basis hierfür bildet ein Analysen-Kompakt-Paper des BBSR zum Thema.
Das große Versprechen: Teilhabe an der Digitalisierung in Stadt und Region
Zuallererst birgt die Smart City und die Digitalisierung in einer Stadt oder Region das große Versprechen, die kommunalen Infrastrukturen besser zu vernetzen und die Datengrundlagen planerischen Handelns zu verbessern. Darüber hinaus hat jede der mittlerweile 75 vom BMI im Rahmen der Modellprojekte Smart Cities geförderten Kommunen und interkommunalen Verbünde insbesondere die Themen der digitalen Teilhabe, Partizipation und digitaler Gerechtigkeit fest in ihre eigene DNA geschrieben. Die digitale Modernisierung von Stadt und Verwaltung eröffnet für Bürger:innen neue Möglichkeiten der Informationsvermittlung und Datenbereitstellung, der Beteiligung an Planungsprozessen und Entscheidungsfindung.
Digitale Gerechtigkeit als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge
Dies lässt jedoch die unbequeme Frage aufkommen, woran Bürger:innen im Rahmen von Digitalisierungs- und Smart City-Prozessen überhaupt teilhaben können sollen, wie eine solche Teilhabe ermöglicht wird und wer an solchen Prozessen der Digitalisierung von Stadt und Region teilnimmt. Welche sozialen Milieus werden durch solche Angebote zur Teilhabe erreicht und in Projekte und Planungsverfahren eingebunden?
Es ist überraschend, dass zu diesen einfachen Fragen bisher nur wenige Forschungsarbeiten und Hand-lungsanleitungen für Kommunen vorliegen. Zwar gibt es bereits gute Kenntnisse über den technischen Ausstattungsgrad und die Verfügbarkeit leistungsfähiger digitaler Netze bei Bürger:innen. Auch bieten viele Kommunen bereits vielfältige Förderansätze zur Teilhabe und Inklusion sozialer Gruppen am Prozess der Digitalisierung an. Eine Systematisierung dieser vielzähligen Ansätze im Rahmen eines übergreifenden Verständnisses digitaler Gerechtigkeit im Kontext einer kommunalen Daseinsvorsorge steht jedoch noch aus.
Vier Dimensionen digitaler Gerechtigkeit
Dazu bedarf es jedoch erst einmal einer Unterscheidung von Zielen. In der Entwicklung und Umsetzung digitaler Strategien bedeutet digitale Gerechtigkeit in der Stadtentwicklung,
- ein höchstmögliches Maß an technischer und materieller Verfügbarkeit digitaler Infrastrukturen zu erzielen,
- digitale Nutzungskompetenzen von Bürger:innen zu befördern (z.B. über Fortbildungsangebote, Lernlabore, o.Ä.),
- Bürger:innen zu befähigen, Informationen über Prozesse der Stadtentwicklung zu erhalten und eine diversifizierte Teilhabe an kommunalen Planungsverfahren bzw. Entwicklungsprojekten zu gewährleisten, und
- direkte und indirekte ökologische und soziale Folgewirkungen der Digitalisierung zu minimieren (z.B. über nachhaltige Beschaffung von Endgeräten, nachhaltige Energieversorgung digitaler Infrastrukturen, o.Ä.)
Die folgende Abbildung 1 differenziert diese vier Dimensionen mit entsprechenden Ausprägungen:
Zwei Beispiele verdeutlichen, wo auch für die kommunale Ebene Handlungsbedarf besteht und welche Handlungsansätze bereits entwickelt worden sind.
Beispiel 1: Versorgung mit leistungsfähigen digitalen Infrastrukturen
Die technische Verfügbarkeit leistungsfähiger digitaler Infrastrukturen fokussiert sich darauf, in welchem Umfang soziale Gruppen, Teilräume oder Regionen Zugang zu leistungsfähigen digitalen Netzinfrastrukturen haben (insbesondere Breitbandinternetzugang und mobiles Internet). Hier zeigen Auswertungen des BBSR zum Breitbandatlas, dass im Juni 2020 nur rund 56% der bundesdeutschen Haushalte mit einer Bandbreite versorgt waren, die eine Downloadgeschwindigkeit von mindestens 1.000 Mbit/s ermöglicht. Damit hat sich die Versorgung gegenüber Dezember 2019 zwar deutlich verbessert (rund 34%), allerdings bestehen weiterhin signifikante Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Räumen: So lagen im Juni 2020 die durchschnittlichen Versorgungsgrade (d.h. der Anteil versorgter Haushalte) mit mindestens 1.000 Mbit/s in Großstädten bei 82%, in Kleinstädten bei rund 27% und in Landgemeinden bei etwa 21% (siehe Abbildung 2).
Eine Reihe von Kommunen startete bereits eigene lokale Initiativen, um den Ausbau ihres lokalen 5G-Netzes zu forcieren: So vermietet beispielsweise die Stadt Köln kommunale Flächen und Gebäude, Glasfaser und Leerrohre der Firma NetCologne, Straßenlaternen von RheinEnergie und weitere geeignete Objekte, Flächen oder Stadtmöbel im öffentlichen Raum über einen Rahmenvertrag an den Vodafone-Konzern. Neben verfügbaren Mobilfunkantennen sollen dort kleine 5G-Antennen (Smart Cells) aktiviert werden, die hohe Geschwindigkeiten für mobile Anwendungen auf dem Smartphone oder im Internet der Dinge möglich machen.
Beispiel 2: Digitale Kompetenzentwicklung
Bei der Kompetenzentwicklung von Nutzer:innengruppen mit gering ausgeprägten digitalen Kompeten-zen der Nutzung stehen in Kommunen bisher verschiedene Zielgruppen im Fokus:
Ältere Menschen: Der »Digital-Kompass« stellt kostenfreie Angebote rund um die Digitalisierung für ältere Menschen bereit. Derzeit entstehen deutschlandweit 100 Standorte, an denen ältere Menschen im Umgang mit Internetanwendungen - u.a. durch sogenannte Internetlotsen - unterstützt werden. Zugleich sind sie Anlaufstelle für Internet-Trainer:innen, die sich weiterbilden möchten.
Menschen mit Handicaps: Auch geistig und kognitiv beeinträchtigte Menschen sind Adressaten von Informations- und Schulungsangeboten verschiedenster Anbieter:innen. Hier kooperieren in vielen Fällen soziale Träger:innen und Kommunen, wie z.B. im Projekt »PIKSL8«. PIKSL-Labore finden sich in den Städten Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf, Kaiserslautern, Kassel, Köln und Osnabrück. Die Labore sind Medienräume, in denen verschiedene Informationstechnologien ausprobiert und ein kompetenter Umgang mit diesen erlernt werden kann. Die PIKSL-Labore sind als Begegnungsräume für Menschen mit und ohne Behinderung konzipiert und stehen allen Interessierten offen.
Menschen mit Migrationsbiografie: Die digitale Integration von Menschen mit Migrationsbiografie ermöglicht Partizipation und Teilhabe. Dies kann beispielsweise das Angebot zielgruppenspezifischer Computerkurse umfassen. So werden im Projekt »Digital Empowerment« des Frauencomputerzentrums Berlin geflüchteten Frauen Medienkompetenzen vermittelt. Dabei erarbeiten sich die teilnehmenden Frauen einen eigenständigen Zugang zu Informationen. Zudem werden Orientierungs-, Beratungs- und Bildungsangebote unterbreitet.
Erwerbslose Menschen: Das ESF-Bundesprogramm »BIWAQ« fördert lokale Bildungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktprojekte in Quartieren des Städtebauförderungsprogramms »Soziale Stadt« und verknüpft diese mit städtebaulichen Maßnahmen. Seit 2017 ist in diesem Programm der digitale Wandel ein zentrales Querschnittsthema. Dabei geht es beispielsweise um die Vermittlung digitaler, berufsfachlicher Kompetenzen für erwerbslose Menschen. Darüber hinaus fördern die BIWAQ-Projekte digitale Inklusion sowie integrierte Quartiers- und Stadtentwicklung, z.B. über den Aufbau niedrigschwelliger digitaler Lernorte in den Quartieren. Ein Beispiel ist das BIWAQ-Projekt »Aachener Quartiere 4.0« mit dem »Digicamp«, welches neben berufsfachlichen digitalen Angeboten in einem niedrigschwelligen und offenen Ansatz verschiedene digitale Lernangebote für alle Quartiersbewohner:innen anbietet.
Kann man digitale Gerechtigkeit messen?
Als Referenzrahmen zur Überprüfung der Implementierung und Fortschrittsanalyse digitaler Gerechtigkeit lassen sich die vier genannten Dimensionen zu einem Instrument der (Selbst-)Reflexion und (Selbst-)Evaluation weiterentwickeln. Der Referenzrahmen sollte zumindest die vier Dimensionen als Bewertungskriterien enthalten und mit verschiedenen passenden Indikatoren und Messgrößen unterlegt werden (vgl. Abbildung 3).
Die Systematik dient als Referenzrahmen und implizites Korrektiv zur Strategieentwicklung und -umsetzung auf kommunaler Ebene. Sie soll Kommunen dabei unterstützen, ein eigenes Verständnis digitaler Gerechtigkeit zu entwickeln, dieses laufend zu überprüfen, neu zu bestimmen und insbesondere gegenüber einem weiterhin stark technologieorientierten Diskurs, die sozialen Dimensionen digitaler Transformation immer wieder neu zu erkennen.
Das zugehörige Analysen-Kompakt-Paper des BBSR kann hier eingesehen werden.
Weiterführendes von ÖFIT:
Die 24 Beiträge dieses Sammelbandes thematisieren Veränderungsprozesse von Staatlichkeit und Öffentlichkeit im Kontext der Algorithmisierung und Automatisierung von Entschei-dungsverfahren und Handlungsvollzügen in Politik und Gesellschaft
(Un)Berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft
Resa Mohabbat Kar, Basanta Thapa, Prof. Dr. Peter Parycek (Hrsg.) (2018)
Berlin: Fraunhofer FOKUS: Kompetenzzentrum Öffentliche IT
Veröffentlicht: 07.09.2021