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Metaversum

Metaversum

Feb 2022

Das Metaversum gilt als eine mögliche nächste Iteration des Internets, welche die digitale Sphäre mit der Realität verschmelzen möchte. Im Zentrum steht die Vision des Internets als ein immersives Universum, persistent, interoperabel und jederzeit von überall zugänglich. Doch woher stammt der Begriff und worin bestehen die wesentlichen Neuerungen, verglichen zum Internet wie wir es heute kennen? Handelt es sich lediglich um ein PR-Narrativ, das schon bald wieder vergessen sein wird oder sehen wir hier die ersten Schritte eines der größeren Trends für das kommende Jahrzehnt? 

Eine kurze Geschichte des Begriffs

Der Begriff Metaversum wurde erstmals 1992 in dem Science-Fiction Roman »Snow Crash« verwendet, um eine virtuelle 3D Welt zu beschreiben, einen urbanen Planeten, der von einer einzelnen, breiten Straße umzogen ist, an die virtuelle Grundstücke grenzen, die gekauft und bebaut werden können. Die Protagonisten des Romans können sich über private Terminals in diese Welt einloggen und mittels tragbarer Geräte dauerhaft mit dem Metaversum verbunden bleiben.

Virtuelle 3d Welten sind insbesondere im Kontext von Computerspielen bekannt (siehe Gamification). Häufig dienen sie als Bühne für eine Geschichte, die der Unterhaltung des Konsumierenden dient. Sie erfüllen damit einen bestimmten, abgeschlossenen Zweck. Sobald die Geschichte erzählt, der Zweck erfüllt ist, verliert auch die Bühne, die virtuelle Welt, ihren Sinn. In vielen modernen Online-Games existiert diese Implikation jedoch nicht. Dadurch entstehen voneinander unabhängige Welten, die teilweise mehr sein wollen als reine Spiele. Mit dem erklärten Ziel, eine Welt wie das Metaversum zu schaffen, ging 2003 so zum Beispiel »Second Life« online. Darin interagieren Nutzende mittels Avatare, können untereinander Handel betreiben und eigene Inhalte in die Welt einbauen. Neuere Projekte wie »Minecraft« oder »Fortnite« führen diese Ideen fort und schaffen Räume, in denen sich Menschen täglich virtuell treffen, um gemeinsam Zeit zu verbringen. Damit wird die soziale Komponente das Hauptmotiv, die virtuelle Welt zu nutzen.

In einem neueren Verständnis ist eine virtuelle 3d Welt jedoch noch kein Metaversum. Stattdessen soll im Metaversum der virtuelle Raum (siehe Reale Virtualität), einschließlich aller virtueller Welten sowie dem Internet, und die physische Realität miteinander verschmelzen und sich gegenseitig ergänzen (siehe Immersion). Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Attributen, die das Metaversum auszeichnen, darunter fallen insbesondere hohe Skalierbarkeit, Zugänglichkeit, Persistenz, Immersion und Interoperabilität von Diensten und digitalen Gütern.

Begriffliche Verortung

 
 

Zwischen Utopie und Realität

Auf Basis dieser Neuinterpretation des Begriffs lässt sich das Metaversum als das Zusammenlaufen von Trends der Jetztzeit beschreiben, insbesondere dem der virtuellen Realität, dem Internet der Dinge (siehe Internet der Dinge), Blockchain (siehe Blockchain) und Digitalen Zwillingen. Wie spielen diese Trends zusammen und wie könnte eine solche Vision aussehen?
Das Metaversum soll einen Unterbau für unterschiedliche Dienste, Spiele, Gewerbe, Arbeit und andere (soziale) Aktivitäten bilden. Mittels Techniken der virtuellen Realität können Anwendungen immersiver erlebt werden und werden intuitiver nutzbar als das Internet heute. Es soll eine digitale Ökonomie geben, die auf Kryptowährungen (siehe Kryptowährung) basieren könnte. Digitale Güter (siehe Vom Eigentum zum digitalen Nutzungsrecht) gewännen an Bedeutung, mit denen beispielsweise Avatare, die digitalen Abbilder unserer selbst, individualisiert werden können und die sich barrierelos von einer Anwendung in eine andere transferieren lassen sollen. Spielwelten zum Beispiel, die heute unüberbrückbar voneinander getrennt sind, sollen im Metaversum zusammengeführt werden. Durch das Internet der Dinge sollen Alltagsgegenstände in das Metaversum integriert werden, sodass der Übergang zwischen Realität und Virtualität ein fließender ist.

Eine Realisierung dieser Vision liegt, wenn sie denn überhaupt kommen sollte, noch Jahre in der Zukunft. Das hat technische, wirtschaftliche sowie soziale und ethische Gründe, die mit der offenen Frage verstrickt sind, ob eine solche Zukunftsvision überhaupt wünschenswert ist.
Aus technischer Sicht wird es eines iterativen Prozesses bedürfen, Hardware und Software schrittweise an die Anforderungen eines Metaversums anzupassen. Viele Anwendungen werden beispielsweise aus der zweidimensionalen in die dreidimensionale Welt überführt werden. Derzeit gibt es eine Reihe von Hardwarelimitationen. Datenbrillen (siehe Wearables) sind nicht massentauglich, weil sie noch immer zu klobig und schwer sind. Datenraten sind zu niedrig, um hochauflösende 3D Anwendungen mobil anzubieten, Rechenkapazitäten zu niedrig, um gleichzeitiges Erleben und Synchronität für große Gruppen zu gewährleisten.
Langfristig sollen die einzelnen, von unterschiedlichen Unternehmen entwickelten Dienste nahtlos ineinander übergehen und im Metaversum verschmelzen. Wesentlich ist zum einen die Persistenz und Interoperabilität von digitalen Gütern. Dafür ist es nötig, einheitliche und offene Protokolle und Standards zu definieren, vergleichbar mit bestehenden Internetstandards wie beispielsweise HTTP. Zum anderen kann die Idee der Interoperabilität zu Interessenskonflikten der Teilnehmenden führen, deren Geschäftsmodelle mit diesem Konzept möglicherweise nicht kompatibel sind. Besonders geschlossene Plattformen, auch Walled Garden (siehe Werbeblocker) genannt, schränken die freie Verfügbarkeit und Nutzung von fremden Diensten gezielt ein und zielen damit auf ein abgeschlossenes Ökosystem ab.

Machtzentrierung oder Dezentralisierung

Das vermutlich erfolgreichste Geschäftsmodell des digitalen Zeitalters besteht in der zielgruppengerechten Adressierung von Werbung durch die Auswertung persönlicher Daten und Metadaten, die Anwender:innen durch die Nutzung digitaler Dienste produzieren. Je mehr Zeit die Anwender:innen auf diesen Plattformen verbringen, desto präzisere Datenabbilder entstehen, welche die (Re)-Konstruktion breiter Teile unseres Alltagslebens ermöglichen, sowie Rückschlüsse auf Interessen, Vorlieben und Wünsche ermöglichen. In diesem Kontext birgt das Metaversum die Gefahr, noch weitaus umfassendere persönliche Daten zu sammeln. Umfangreiche Datensätze sind nicht grundsätzlich ein Problem, da sie zum Beispiel für Forschung in vielerlei Hinsicht existenziell sind. Allerdings kollidiert hier schnell der Wunsch nach Profitmaximierung der Plattformbetreibenden mit dem Recht auf digitale Selbstbestimmung der Nutzer:innen. Staatliche Reglementierungen bezüglich des Datenschutzes gewinnen an Bedeutung, je stärker die Verzahnung von Realität und Virtualität voranschreitet und je häufiger Anwender:innen auch unbewusst digitale Dienste nutzen, weil diese in ihren Alltag integriert sind.

Das Internet als das »Netz der Netze« basiert auf der Idee der Dezentralität. Seit einigen Jahren lässt sich jedoch eine dieser Idee entgegenlaufenden Entwicklung beobachten, bei der einige wenige Tech-Firmen durch ihr universelles Angebot an Diensten eine oligopolistische Struktur schaffen. Das Metaversum könnte aus pessimistischer Sicht als eine Fortsetzung und vielleicht Krönung dieses Prozesses gesehen werden. Diese Form der Machtzentrierung lässt sich heutzutage beispielsweise bei den App-Stores für Smartphones beobachten, wo Entwickler:innen gezwungen sind, sich strengen Regularien und Abgaben zu unterwerfen, um ihre Applikationen in den Stores anbieten zu können. Das Metaversum bietet hier jedoch auch die Chance, diese Strukturen aufzubrechen. Wichtig ist eine konsequente Umsetzung offener Standards, Protokolle und quelloffene Software, sodass sich unterschiedliche Akteure an der (Weiter)- Entwicklung beteiligen und gleichberechtigt agieren können. Als Stichwort fällt in diesem Kontext vermehrt »Web3«. Dahinter verbirgt sich die Idee eines World Wide Web basierend auf Blockchain-Technologie. Einige Expert:innen sehen darin eine mögliche Lösung gegen Zentralisierung im Web, während andere auf fehlende Ausgereiftheit der Dienste hinweisen und ihre tatsächliche Dezentralität anzweifeln.

Und was ist mit der Nachhaltigkeit?

Ein Aspekt, der bei der Zukunft des Internets und seiner Dienste gerne übergangen wird, ist die ökologischer Nachhaltigkeit. Schon heute wird durch Internetdienste, zum Beispiel Streaming, erhebliche Mengen Treibhausgas produziert, Tendenz steigend. Für ein Metaversum würde es gigantischer Rechenkapazitäten bedürfen, deren Energieverbrauch kaum absehbar ist. Solange wir nicht in der Lage sind, ausschließlich CO2-neutral Energie zu erzeugen, sollte auch die Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz eines Metaversums im Kontext der Klimakrise eine zentrale Rolle spielen.
Befürworter:innen argumentieren hingegen, dass das Metaversum in Einklang mit den Klimazielen steht und diese sogar zu befördern vermag, indem sich klimaschädliche Tätigkeitsfelder aus der realen in die virtuelle Welt verlagern. Beispielsweise könnten Reisen im privaten, sowie geschäftlichen Umfeld reduziert werden, wenn Menschen sich auf gleichwertige Art im Metaversum treffen können.

Themenkonjunkturen

Ein-Blick in die Zukunft

Die Vision des Metaversums vereint eine Reihe von technologischen Trends und beschreibt technologische Hürden, die gleichzeitig als Triebkraft für Innovation fungieren können. Dadurch eröffnen sich Arbeitsfelder für die Zukunft, zum Beispiel Interoperabilität von digitalen Objekten und leistungsfähigere Hardwareinfrastruktur, die in ihren derzeitigen Entwicklungsstadien für das Metaversum noch unzureichend sind. Das Metaversum, dessen Entwicklung sich entlang der spezifischen Attribute verfolgen lässt, ist zu diesem Zeitpunkt noch ein Konzept für die Zukunft, eine Idee, wie das Internet eines Tages aussehen könnte. Die Entwicklung verläuft iterativ und wird von vielen Akteuren parallel vorangetrieben und so wird es wohl keine Stunde null geben, die als die Geburt des Metaversums definiert werden könnte. Es ist nicht klar, ob der Begriff Metaversum die Zeit übersteht, eines Tages als Zwischenschritt in eine neue Ära fortschrittlicher Technologie gesehen oder völlig vergessen sein wird.
Neben den technologischen Herausforderungen sind insbesondere auch ethische und soziale Aspekte zu beachten, die möglicherweise an den Grundfesten unseres Selbstverständnisses von Zusammenleben rütteln könnten. Schon heute erleben wir zunehmenden Hass und eine Radikalisierung im Netz, dessen politische und soziale Auswirkungen schwer abschätzbar sind. Intersubjektive Konzepte und imaginäre Ordnungen sorgen für ein strukturiertes Miteinander von Menschen, die in größeren Einheiten, wie zum Beispiel Staaten, organisiert sind. Welchen Einfluss hat die zunehmende Virtualisierung unserer Umwelt auf diese Fähigkeit zur Kooperation?
Insgesamt ist abzusehen, dass sich Realität und Virtualität in den nächsten Jahren weiter verzahnen werden, unabhängig davon, wie langlebig der Trend Metaversum sein wird. Begleitet wird dieser Prozess von einer Intensivierung der Nutzung digitaler Dienste. Das sollte genau beobachtet, immer wieder hinterfragt und beleuchtet werden. Insbesondere deswegen, weil es sich bei den Treibern dieser Innovationen meist um profitorientierte Unternehmen handelt, die nicht zwangsläufig im Einklang zu dem gesamtgesellschaftlichen Wohl agieren.

Folgenabschätzung

Möglichkeiten

  • Transformation von Arbeit, Kultur und Bildung ins Digitale
  • Internet immersiver erleben
  • Zugang zu neuen Erlebniswelten für Viele
  • Mehr Daten für Forschung und Gemeinschaft
  • Ökologischer Nutzen durch Verlagerung physischer Aktivitäten ins Virtuelle

Wagnisse

  • Weitere Machtzentrierung bei einzelnen Big Tech Unternehmen
  • Fehlende Kontrolle über Inhalte kann zu Hass und Radikalisierung führen
  • Datensammlung zur Profitmaximierung weitet sich aus
  • Internetsucht und Abhängigkeiten
  • Erhöhter Stromverbrauch

Handlungsräume

Machtzentrierung beobachten und vorbeugen

Die strengere Reglementierung von Technologieunternehmen, oder sogar Zerschlagung monopolistischer Strukturen innerhalb der Tech-Welt durch den Staat, wird immer wieder gefordert. Mit dem Metaversum könnte sich die Machtzentrierung weiter zuspitzen und sollte daher genau beobachtet werden. Gezielte Förderung von Start-Ups und Kleinunternehmen kann zur Beschränkung von Marktmacht beitragen und volkswirtschaftliche Potenziale ausschöpfen.

Digitale Selbstbestimmung früh fördern

Schule soll auf das Leben vorbereiten, gleichzeitig wird das Leben immer digitaler. Der Lehrkanon muss diesen Fakt berücksichtigen und integrieren. Förderung Digitaler Resilienz sowie Aufbau von Digitalkompetenzen sollten in den Lehrkanon aufgenommen werden.

Staatliches Metaversum für gleiche Teilhabe für Alle

Die meisten digitalen Plattformen werden heute von Unternehmen betrieben, bei denen privatwirtschaftliche Interessen dominieren. Mit der Bereitstellung einer von staatlicher Seite organisierten Plattform, die einen rechtlichen Rahmen für Datenschutz schafft, könnte eine attraktive Alternative geschaffen werden, die ihren Fokus auf die gleichberechtigte Teilhabe für Alle ausrichtet.

Öffentliche Hand im Metaversum

Die Digitalisierung der Verwaltung ist seit Jahren ein großes Thema. Mit dem Metaversum als einer neuen Plattform stellt sich die Frage, ob bzw. welche Verwaltungsleistungen die öffentliche Hand in einem zukünftigen Metaversum anbieten kann oder sollte.